Mancherlei Bücherwege sind nicht nur verschlungen. Sondern krumm. "Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden", schrieb der Königsberger Philosoph und Aufklärer Immanuel Kant. Und vielleicht der letzte Aufklärer ist der heute fast vergessene Antoine de Rivarol, dessen Aperçus, Maximen und Bonmots uns nun auf krummem Wege erreichen, so zahlreich wie niemals zuvor. Ist es doch überaus kurios, dass die von Ulrich Kunzmann erarbeitete Übersetzung die umfangreichste Textausgabe ist, die es jemals gegeben hat - einschließlich aller französischen. Um es mit Rivarol zu sagen: "Nationen wie Metalle glänzen nur an der Oberfläche." Kunzmann hat die Aphorismen und Gedanken in dreizehn thematische Kapitel unterteilt, die von Gott über die Leidenschaften, Gesellschaft und Geschichte bis zu Revolution, Deutschland und dem Lob der Faulheit reichen.

1753 in Bagnols-sur-Cèze in Südfrankreich geboren, lebte Rivarol, der soziale Aufsteiger, der seinen Namen um ein "de" ergänzte, in, so Johannes Willms, "moussierenden Zeiten". 1776 war er nach Paris gegangen und hatte sich dank seines Talents zur geistsprühenden Konversation im Handumdrehen Zugang verschafft zu Salons, die Neuankömmlingen normalerweise verschlossen waren. Bis 1791 publizierte er rege. Am 11. April 1801 starb Rivarol im Alter von 47 Jahren in Berlin. Neun Jahre zuvor hatte er Paris verlassen, war erst nach Brüssel gezogen, dann nach Rotterdam, von dort nach London, wo ihn der Konservative Edmund Burke willkommen hieß, der in Rivarol einen revolutionskritischen Confrère erkannte. Dort hielt es den Franzosen nicht lang, er übersiedelte nach Hamburg und im Jahr 1800 nach Berlin. Sein Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof war schon 50 Jahre später nicht mehr auffindbar.

"Nun tritt dieser französische Klassiker, nach zu wenig beachtetem Beginn, seinen deutschen Weg an, unter Auspizien, wie sie kaum günstiger gedacht werden könnten! Es wird sich erweisen, wie sehr auch er zu uns gehört", schrieb 1956 der Schweizer Kritiker Max Rychner anlässlich einer Rivarol-Auswahl, die damals Ernst Jünger herausgab. Dieser, bis heute umstritten, glaubte im letzten der "Moralisten" einen Vorläufer zu erkennen: einen Ästheten, der Wortkunst betrieb jenseits der politischen Arena, abgesondert von der plumpen Masse. Was nicht nur verwunderlich war, sondern in hohem Maße kurios.

Denn nichts könnte von Jüngers Attitüde entfernter sein als der politische Denker Rivarol. Der in seiner Lebendigkeit, Schärfe und Herrschaftsskepsis zu uns gehört, zu unseren moussierenden Zeiten. Es muss sich nun erweisen, wie sehr er nun angenommen wird dank dieser verdienstvollen Edition. Wie meinte Rivarol: "Für die Menschheit ist glücklicherweise der Irrtum nicht wie die Wahrheit unsterblich." (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 2./3.2.2013)