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Wer reizt hier wen? Wo bleibt die Kritik? Medien arbeiten mit sehr unterschiedlichen Maßstäben.

Foto: AP/Zak

Die alkoholgesättigten, vergleichsweise "harmlosen" Sager eines deutschen Politikers gegenüber einer vergleichsweise wehrhaften Journalistin und die mediale Aufregung darüber zeigen wieder einmal eines: Bei den Themen "Männer" und "Sex" setzt meist die kritische Analyse aus - moralische Empörung verhindert, wie schon Bert Brecht einst mutmaßte, die Erkenntnis. Nun steht völlig außer Frage, dass es immer noch genug Machos gibt, die Frauen blöd anreden oder gar bedrängen. Es gibt aber auch schon viele Frauen, die sich zu wehren wissen, ohne nach der Genderpolizei oder neuen Gesetzen zu rufen.

Drei Dinge aber stören mich an dieser Debatte: Erstens der bei solchen Gelegenheiten tendenziell Platz greifende pauschalierende Negativdiskurs über "die Männer". Zweitens die Behauptung eines angeblichen Kontinuums an "Gewalt", wo blöde Sprüche der Anfang, Vergewaltigung das Ende sei; und drittens die unterlassene Analyse, warum manche Männer so sind und welchen Anteil die kulturellen und Sozialisationsbedingungen daran haben (wer das unterlässt, argumentiert essenzialistisch und letztlich selbst sexistisch).

Zum Ersten: Entgegen dem häufigen Negativstakkato über Männer im Geschlechterdiskurs steht fest, dass ganz viele Männer solche Dinge nicht tun, Frauen auch nicht am Po oder sonst wo begrapschen - im Gegenteil: Viele sind auf dem Weg zu einem wertschätzenden egalitären Umgang. Derartige Pauschalierungen hinsichtlich Frauen würden im umgekehrten Fall zu Recht einen Sturm der Entrüstung hervorrufen.

Zweitens ist das behauptete Kontinuum von sexistischen Sprüchen bis zur Vergewaltigung nichts als Ideologie: Wie auch der von einer der Säulenheiligen des 1970er-Jahre-Feminismus, Andrea Dworkin, propagierte Leitsatz "Pornografie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis" empirisch längst ins Reich der Fabeln verbannt wurde und sich angesichts der Massenpornografie im Internet heute von selbst widerlegt, so ist zwischen Gerede und der Psychopathologie einer sexuellen Gewalthandlung allemal ein grundlegender, auch persönlichkeitsstruktureller Unterschied. Und die Opfer von Letzterem werden sich schön bedanken, wenn eine Journalistin, die sich - wie man sieht - ganz gut wehren kann, deshalb genauso viel oder gar mehr Aufmerksamkeit erhält als sie.

Drittens verwundert, dass kaum jemand nach den Ursachen des Problems fragt, weder individuell noch gesellschaftlich. Ideologie erspart hier offenbar die Analyse.

Warum also sind (manche) Männer so geworden und können offenbar nur über doofe sexuelle Anspielungen mit Frauen in Kontakt treten? Reine Machtgeilheit und Unterwerfungslust? Warum gebärden sie sich bar jeder Empathie wie brunftige Gockel, was jedem halbwegs reflektierten Geschlechtsgenossen nur peinlich sein kann? Wer lebt ihnen als Buben in ausreichendem Maße vor, wie man Frauen (und einander) respektvoll begegnet? Was leisten Familien und öffentliche Bildungsinstitutionen dazu, dass männliche Sozialisation zu anderen Ergebnissen führt?

Merkantile Sexualisierung

Und schließlich: Welchen Anteil hat ein kulturelles Klima, in dem eine merkantile Dauersexualisierung herrscht, wo alles - vornehmlich Weibliche - zur konjunkturfördernden Ware wird? Wenn eine Diskutantin bei Anne Will in der ARD meinte, "dass wir in einer Kultur leben, in der man sich als Frau nicht bewegen kann", trifft sie damit etwas Wichtiges: eine Lifestyle-Kultur, die sich mittlerweile weit über "männliche Unarten" hinaus verselbstständigt hat und in der Sex fixer Bestandteil der Wirtschafts-, Werbe- und Medienwelt geworden ist.

Wenn etwa im Sportteil einer österreichischen Zeitung die Skifahrerin Anna Fenniner mir nix, dir nix zur "Sexy Anna" gemacht wird oder in einem Magazin einem feschen Mädel, das sich der hochsexistischen Jungfleischbeschau "Austria's next Topmodel" aussetzt, ein "Mörderkörper" attestiert wird usw., dann frage ich mich, warum das, was Massen lesen, nicht mindestens ebenso attackiert wird wie die Anmache eines halbbetrunkenen Politikers.

Diese Fragen nach den Ursachen nicht zu stellen und nur moralistisch auf "problematischer Männlichkeit" herumzuhacken, macht den Mann per se zum triebgesteuerten Unhold, der nur mit gendersensibler Reflexion seine tierischen Impulse in Zaum halten kann. Hören wir endlich auf, diese Dinge mit dem Zeigefinger zu verfolgen, und suchen wir die Gründe dafür in einer Sozialisation, die bei manchen Männern zu einer Schmalspursexualität führt, die ihnen alles andere als wirklich Vorteile bringt.

Sexistische Anmache, Machtlust und auch Gewaltneigung sind oft Ausdruck von Ohnmacht wie von Fantasie- und Geistlosigkeit, die Männern nicht in die Wiege gelegt wurden, ebenso wie Frauen nicht als Pin-ups zur Welt kamen.

Der Sex, das zeigt die Geschichte, ist nicht durch Ge- und Verbote "in den Griff zu kriegen"; das kann vielleicht auch gar nicht Ziel einer liberalen Kultur sein. Er ist nur kulturell steuerbar und kultivierbar, und das von beiden Geschlechtern gemeinsam, indem wir würdige Lebensbedingungen für sie (und für alles dazwischen) fördern, um eine Ars erotica zu ermöglichen. Eine solche fehlt schmerzlich, und sie wird durch Kampagnen dieser Art nicht wahrscheinlicher. (Josef Christian Aigner, DER STANDARD, 6.2.2013)