Am 11. Mai steht jeder der Tänzer von "alles bewegt" zehn Minuten auf der Bühne des Festspielhauses St. Pölten. Bis dahin haben sie ein Jahr geprobt.

Foto: Standard/Margot Schneider

St. Pölten - Es sind sicher gut 100 Leute im Saal, und alle schauen gebannt zu uns auf die Bühne. Unsere Vorgabe für diese Probe: im Grunde gar keine. Ohne einstudierte Choreografie sollen wir einfach zeigen, was wir bereits können und während der letzten Monate gelernt haben. Da ich schon öfters bei experimentellen Tanzprojekten mitgemacht habe, ist diese Situation nichts Neues für mich, doch den anderen aus meiner Gruppe kann ich die Nervosität förmlich ansehen. Mit einem Mal werden wir aus unseren Gedanken gerissen, als zwei Musiker mit Trommel und Gitarre die Livemusik starten, zu der wir nun improvisiert und vollkommen frei tanzen sollen. Am Ende war unser Publikum begeistert. Ich hatte das Gefühl, mit dem Applaus dieselbe Freude zurückzubekommen, die ich in meinem Herzen beim Tanzen fühlte.

An die 125 Menschen, von Jung bis Alt, werden beim Tanzprojekt "alles bewegt" ein Jahr lang mit renommierten Tanzlehrern proben und ihr Schaffen auf der Bühne des Festspielhauses St. Pölten zeigen. Seit September 2012 laufen jetzt schon die Proben. Wir sind insgesamt in sieben Gruppen aufgeteilt. Am 11. Mai wird jede für zehn Minuten auf der Bühne stehen. Das ist die Idee. Alles andere bleibt uns überlassen. Wer weiß, was sich im Entstehungsprozess noch verändern wird?

Der Weg ist das Ziel

Jede Probe hat einen vollkommen anderen Ablauf als die vorige. Was wir machen, ist eine Art Ausdruckstanz. Meistens gibt uns unser Workshop-Leiter eine Idee vor, die wir tänzerisch in Bewegung umsetzen sollen, mit oder ohne Musik. Teilweise machen wir die Musik auch selbst. Dann singen wir etwas oder trommeln gemeinsam einen Takt zu den Bewegungen eines Mittänzers.

Am schönsten, aber auch am schwersten finde ich, wenn man sich aus einem Musikstück ein einzelnes Instrument heraussucht, nur dazu tanzt und mit den Höhen und Tiefen der Töne mitgeht. Oft gibt es so viele Instrumente, dass man das einzelne nicht mehr so genau heraushört, oder es reißt einen der Rhythmus des Stücks zu sehr mit. Dagegen anzukämpfen und zum Abshaken Nein zu sagen ist oft sehr schwer.

Manchmal sollen wir auch nur ganz bestimmte Körperteile bewegen. Ich habe mit meinem Arm begonnen, wobei ich sofort feststellte, dass ich den Arm fast nur gemeinsam mit der Schulter bewegen kann. Im Dialog mit meinem Körper suchte ich nach Möglichkeiten, wie ich den Arm bewege, aber die Schulter gleichzeitig ruhen lasse. Manchmal, so scheint mir während der Proben, bewegt sich nicht nur mein Körper, sondern auch mein Geist. Ich glaube, es geht bei unserem Projekt nicht so sehr um das Ergebnis als viel mehr um das Entstehen.

Faszinierend ist, wenn wir zuerst mit einem Partner tanzen und dann alleine. Es ergibt sich eine totale Veränderung in den Bewegungen. Durch das Tanzen zu zweit lernt man neue Bewegungen kennen, übernimmt diese und passt diese dem eigenen Körper an. Wenn man dann alleine tanzt, hat man in seinem Spektrum ganz neue Bewegungen.

Als wir einst ohne Noten und Text etwas singen sollten, dachte ich mir zuerst: "Um Gottes willen, singen? Das ist doch ein Tanzprojekt!" Ich erkannte meine Stimme nicht wieder, so leise und brüchig hatte ich sie noch nie vernommen.

Ich habe nur sehr selten ein Problem damit gehabt, mich während des Entstehungsprozesses vollkommen fallenzulassen. Andere Gruppenmitglieder hatten anfangs mehr Berührungsängste, einige wenige verschwanden sogar ganz nach ein paar Proben.

Tanzen verbindet

Wunderschön ist, dass ich mit Menschen aus verschiedenen Lebensjahrzehnten zu tun habe, und wir uns dennoch behandeln, als wären wir alle gleichgestellt. Ob der Mensch jetzt jung oder alt, groß, klein, dick oder dünn ist, als Büroangestellter oder als Verkäufer arbeitet, spielt keine Rolle. Auch welcher Religion er angehört oder in welchem Land er geboren ist, macht keinen Unterschied. Es stört mich nicht, ob ich mein Gegenüber nicht verstehe oder er anders ist, denn das Tanzen verbindet uns. Schade, dass so was im Alltag oft nicht so einfach geht. (Yasmin Luna, DER STANDAR, 6.2.2013)