Glücksforscherin Annegret Braun: "Die Suche nach dauerhaftem Glück macht letztlich unglücklich, weil wir versuchen, etwas zu erreichen, was es nicht gibt."

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Glückliche Menschen sind gesünder, freundlicher, klüger und kreativer, sagt die Forschung. Dass dauerhaftes Glück aber unrealistisch ist und die Suche danach unglücklich macht, beschreibt die Münchner Kulturwissenschaftlerin Annegret Braun in "Wie Frauen Glück erleben".

Gemeinsam mit Studierenden bat sie Menschen, anhand eines persönlichen Erlebnisses zu schildern, was sie unter Glück verstehen. Das Ergebnis waren 700 Glücksgeschichten, von denen Braun jene von Frauen zur näheren Betrachtung für ihr Buch auswählte und durch Ergebnisse aus der Glücksforschung und sieben Selbstporträts von Frauen ergänzte, die ihre Erfahrungen von Glück schildern - von der siebenfachen Mutter bis zur Verkäuferin einer Straßenzeitung.

Der Autorin geht es dabei "nicht um Rezepte, wie Frauen noch glücklicher werden, sondern um die Wahrnehmung des Glücks im Alltag" und das Herunterbrechen der Glücksillusion auf die Alltagsebene.

dieStandard.at: Warum haben Sie sich entschieden, sich in Ihrem Buch ausschließlich Glückserfahrungen von Frauen zu widmen?

Braun: Weil bisher noch kaum etwas speziell zu Frauen und Glück geschrieben wurde und ich mich schon in meiner bisherigen Forschungsarbeit sehr für Frauen und ihre Lebenswelten interessiert habe.

In der Glücksforschung ist häufig allgemein von "Glück" oder "Happiness" oder vom Fachbegriff "Allgemeines Wohlbefinden" die Rede, aber es wird nicht genauer definiert, was damit gemeint ist. Mit der Fokussierung auf Frauen wird das Glückserleben noch mehr herangezoomt und detaillierter betrachtet. Die in meinem Buch erzählten Glücksgeschichten schildern ganz konkrete Glücksmomente aus dem Alltag.

dieStandard.at: Glück empfinden Männer wie Frauen gleichermaßen. Kann man da einen Unterschied machen?

Braun: Bei den Glücksgeschichten, die wir in meinem Seminar an der Universität München gesammelt haben, sind die Unterschiede sehr gering. Ich wollte mit meinem Buch auch bewusst keinen Vergleich anstellen, weil man damit Unterschiede produziert, die in dieser Schärfe nicht da sind.

Ich glaube, der Unterschied liegt eher in der Glückssuche als in der Wahrnehmung: Männer suchen Glück eher in Status und Machtpositionen, Frauen eher in Beziehungen. Aber wo man Glück findet, das empfinden Frauen und Männer ähnlicher, als wir oft denken. So haben Männer in unseren Glücksgeschichten etwa genauso häufig Erlebnisse in Beziehungen oder die Geburt ihres Kindes als Glücksmomente geschildert wie Frauen.

dieStandard.at: Sie stellen in Ihrem Buch die Frage in den Raum, ob Frauen näher am Glück sind als Männer. Haben Sie darauf eine Antwort?

Braun: Ich wollte, wie gesagt, keinen Vergleich zu Männern ziehen. Aber Studien in der Glücksforschung bestätigen schon, dass tiefergehende Beziehungen, ob freundschaftlich, familiär oder partnerschaftlich, absolut glücksbringend sind und Frauen mehr Beziehungen pflegen. Auch wenn sie beruflich Karriere machen, geben sie dafür Beziehungen nie so auf, wie viele Männer das tun.

Auf dieser Ebene sind Frauen also, wenn man so will, mehr am Glück dran. In der Frage, wie sehr Frauen und Männer glücklich sind, gibt es aber, wie andere Studien belegen, keinen Unterschied. Ich glaube, das liegt daran, weil Frauen im Vergleich zu Männern häufig mehr an sich zweifeln und viel hinterfragen, was sich wiederum kontraproduktiv auf das Glücksempfinden auswirkt. Es wiegt sich also auf.

dieStandard.at: Gibt es bestimmte Faktoren für Glück?

Braun: Dauerhafte, tiefergehende Beziehungen, Tätigkeit und sinnliche Erlebnisse wie Kochen, ein Spaziergang in der Natur oder ein Wellnesstag. Das sind psychologische Glückskonstanten, die für alle Menschen gelten. Auch Dankbarkeit ist sehr glücksfördernd. Mit Tätigkeit ist dabei nicht unbedingt der Beruf gemeint, sondern etwas zu machen, in dem ich meine Kreativität und meine Begabungen leben kann. Das kann auch ein Hobby oder ehrenamtliche Arbeit sein.

dieStandard.at: Im Buch porträtieren Sie ausführlich sieben ganz unterschiedliche Frauen, die ihren Alltag schildern und was sie dabei glücklich macht.

Braun: Ich wollte möglichst viele verschiedene Facetten davon zeigen, was Frauen im Alltag als Glück empfinden. Die Verkäuferin einer Straßenzeitung, die mit 49 Jahren in ihrem früheren Job gekündigt wurde, kommt ebenso zu Wort wie eine Lehrerin und Mutter von sieben Kindern, die im Familienleben aufgeht, die Bewohnerin eines Wagendorfes, die das freie, bescheidene Leben liebt, eine 93 Jahre alte Dame, die auf ein langes Leben zurückblicken kann, eine verheiratete Forscherin, die sich bewusst gegen Kinder entschieden hat, eine ehemalige Nonne, die nach vielen Jahren aus dem Orden ausgetreten ist, und eine erfolgreiche Kabarettistin.

dieStandard.at: Hat sich das Glücksempfinden von Frauen im Wandel der Zeit verändert?

Braun: Es gibt leider nicht viele Aufzeichnungen oder Quellen, die das Erleben von Glück von Frauen früher schildern. Viele Frauen empfanden großes Unglück durch ihre begrenzten Bildungs- und Handlungsmöglichkeiten. Aber dennoch haben sie innerhalb ihrer Lebenswelten auch Glück verspürt. Für viele war es zum Beispiel durchaus Glück, sich durch eine Eheschließung versorgt zu fühlen. Sie haben sich in ihrem festen Beziehungsnetz geschützt gefühlt, während andere wiederum darin gefangen waren. Für manche war es auch Glück, wenn sie eine gute Stelle als Dienstmädchen oder Erzieherin gefunden haben.

Heute haben Frauen das Glück, die Fäden selbst in der Hand zu haben - was glücksfördernd und -bremsend zugleich sein kann, weil man sich entscheiden und zwischen vielen Möglichkeiten wählen muss und kann. Die Ansprüche an das Glück haben sich erhöht.

Man hat aber früher auch nicht so sehr nach dem Glück gefragt. Das persönliche Glück stand nicht so im Mittelpunkt wie heute. Zum anderen war das persönliche Glück auch lange Zeit von der Kirche verpönt – wer sein Glück im Hier und Jetzt suchte, hatte es im Jenseits verwirkt. Im Leben hatte man erst einmal seine Pflicht zu erfüllen.

dieStandard.at: Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwischen Glücksmomenten oder Glückserlebnissen und Lebensglück.

Braun: Glückserlebnisse beziehen sich auf kürzere oder längere Momente des Wohlbefindens. Mit Lebensglück ist eine langfristige Zufriedenheit gemeint, die auch das Akzeptieren von Krisen beinhaltet.

dieStandard.at: Sie betonen dabei, dass es wichtig ist, das Streben nach Glück auf die Alltagsebene herunterzubrechen. Was genau meinen Sie damit?

Braun: Statt laufend das Glück zu suchen, sollten wir das Glück, das in unserem Leben schon vorhanden ist, wahrnehmen. Wir sehen es im Alltag oft nicht, weil wir uns daran gewöhnt haben und uns das Kontrasterlebnis fehlt. Deshalb sind für ein glückliches Leben auch Krisenzeiten so wichtig. Glückssuche ist ja eigentlich eine versteckte Suche nach Lebenssinn: Wenn wir glücklich sind, fragen wir nicht nach Sinn. Wenn man unglücklich ist, verliert man oft den Sinn und beginnt, ihn zu suchen.

Es ist aber wichtig, zu sehen, dass auch die Zeiten, wo man nicht glücklich ist, Sinn machen, weil sie dem Leben eine Richtung geben und wir erkennen, was für uns wichtig ist und was wir verändern wollen. Das ist letztendlich sehr bedeutsam für unser Lebensglück.

dieStandard.at: Bedeutet das auch, dass das Glück eher in den kleinen Alltagserfolgen liegt als darin, große Ziele zu erreichen?

Braun: Es spricht nichts dagegen, große Ziele zu haben, aber dieses Ziel in der Ferne anzufixieren und dabei die Alltagserfolge, das kleine Glück, nicht mehr zu sehen, kann unglücklich machen.

Man sollte nicht alles davon abhängig machen, dieses eine, große Ziel zu erreichen, sondern auch sehen, was man noch für glücksbringende Dinge im Leben hat, falls es nicht klappen sollte. Und man sollte sich nicht von den Glücksillusionen leiten lassen, die uns Medien und Werbung vorgaukeln und die mit unserem Alltag wenig zu tun haben.

dieStandard.at: Was halten Sie von den vielen Glücksratgebern, die die Regale in den Buchhandlungen überschwemmen?

Braun: Das Lesen solcher Bücher kann sicher ein Glücksgefühl auslösen, weil man, so, wie wenn man über glückliche Erlebnisse redet, sich dabei mit Glück beschäftigt. Problematisch ist, dass die große Masse davon den Eindruck vermittelt, dass es im Leben nur auf das Glück ankommt und Dauerglück als Lebensziel suggeriert. Diese Einseitigkeit ist eine Verzerrung der Wirklichkeit und greift einfach zu kurz.

Die Suche nach dauerhaftem Glück macht letztlich unglücklich, weil wir versuchen, etwas zu erreichen, was es nicht gibt. Viktor Frankl sagt treffend, dass Glück die Folge von etwas ist und nicht das Ziel. Es entsteht im Tun, und nicht, weil wir danach suchen. Wir brauchen einen Grund, um glücklich zu sein.

dieStandard.at: Hat die Arbeit an dem Buch Ihr persönliches Glücksempfinden beeinflusst?

Braun: Natürlich habe ich auch meine Erfahrungen hinterfragt und reflektiert, vor allem beim Kapitel über Mutterglück, da ich selbst zwei Kinder habe.

Es gibt oft kleine, aber wichtige Glücksmomente, die in der Glücksforschung jedoch untergehen, weil sie nicht immer gleich als Glück wahrgenommen werden. Zum Beispiel, als ich zu Mittag am Zaun stand, meine Tochter nach der Schule niedergeschlagen die Straße herunterkam und dann freudestrahlend auf mich zulief, sobald sie mich erblickte. Das sind Momente, die man in diesem Augenblick vielleicht gar nicht bewusst als Glück wahrnimmt, aber die sich hinterher, in der Erinnerung, als glücklicher Moment herausstellen.

dieStandard.at: Kann man Glück lernen?

Braun: Ich würde sagen, vieles ist machbar, aber nicht alles ist möglich. Für einen kleinen Glücksmoment kann ich oft nichts beitragen, den bekomme ich oft zufällig geschenkt, aber ich kann was zu meiner Zufriedenheit, zu meinem Lebensglück beitragen, indem ich mehr im Moment lebe, im Alltag wachsam bleibe und auch Dinge akzeptiere, die sich nicht ändern lassen. (Isabella Lechner, dieStandard.at, 7.2.2013)