Journalist und Autor Ari Rath im achten Stock des Maimonides-Zentrums, wo er arbeitet, schläft und nicht selten auch kocht. Foto: Lisi Specht

Foto: Lisi Specht

Ari Rath, ehemaliger Chefredakteur der "Jerusalem Post", wohnt außer in Jerusalem auch in einer Seniorenresidenz an der Donau. Michael Hausenblas besuchte ihn dort.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mich in einem Seniorenheim – und noch dazu in Wien – jemals wohlfühlen könnte. Ich spreche von einer Residenzwohnung im Maimonides-Zentrum im zweiten Wiener Bezirk. Es ist ein sehr modernes Gebäude, in dem sich im siebenten und achten Stock normale Wohnungen wie die meine befinden. Auf den anderen sechs Etagen sind Stationen für pflegebedürftige Menschen untergebracht. Von meinem großen Balkon, vor meinem Fenster, habe ich einen schönen Blick auf die Donau, aber auch auf die U-Bahn-Linie U2 und die Südosttangente. Ich bin hier zufrieden, obwohl das Ganze eher den Charakter einer zeitweiligen Bleibe hat.

Ich bin hier gelandet, weil ich vor zwei Jahren, am Tag vor meinem geplanten Rückflug nach Israel, einen Blinddarmdurchbruch mit allen möglichen Komplikationen hatte. 48 Stunden lang lautete meine Diagnose 'sehr brenzlig', ohne dass ich es wusste. Das ist ein traumatisches Erlebnis, auch im Nachhinein. Ich war anlässlich der Feierlichkeiten zu Bruno Kreiskys 100. Geburtstag in Wien. Drei Monate durfte ich nicht fliegen und war vorerst hier in einem Gästezimmer untergebracht. Dann hat man mir diese Wohnung angeboten, damit ich wenigstens einen Teil meiner Zeit in Wien verbringen könne.

Sie misst 55 Quadratmeter, ohne den Balkon. Ich habe hier ein großes Wohnzimmer mit einem Sofa, Regalen, einem neuen Bücherschrank und natürlich meinen Schreibtisch mit meinem Computer, auf dem es ziemlich chaotisch aussieht. Meine Schlafecke wird durch einen weißen Paravent abgetrennt. Es gibt eine voll ausgestattete Küche, ein Badezimmer mit Waschmaschine, ein Kleiderzimmer und auch einen Eingangskorridor. Im Haus befindet sich ein Speisesaal, in dem gut gekocht wird, aber ich bin viel in der Stadt unterwegs. Außerdem koche ich häufig selbst.

Gemütlich ist es hier nicht. Dazu müsste man ein paar Bilder aufhängen und einen Teppich auflegen. Meine Freunde sagen: 'Ari, es ist gemütlich, wenn du da bist.' Meine Hauptwohnung liegt im Zentrum von Jerusalem. Die ist sehr gemütlich, sie ist zwar auch nicht größer, aber sehr schön eingerichtet.

Ich ziehe zweckmäßige, nicht zu moderne Möbel vor. Wegen der vielen Präsentationen meines Buches 'Ari heißt Löwe', das vergangenen Herbst erschienen ist, pendle ich jetzt öfters zwischen Jerusalem und Wien. Anscheinend will ich es hier nicht zu gemütlich  haben, sonst würde aus dem Provisorium etwas Permanenteres werden.

Wohnen ist wichtig für mich. Das wurde mir besonders während meinen 16 Jahren im Kibbuz bewusst. Dort schliefen wir während fünf Jahren zu dritt in einem Zelt, das des Öfteren vom Wind fortgeblasen wurde.

Ich stehe hier zeitig auf, gehe zur Physiotherapie und bereite  dann mein Frühstück zu. Anschließend arbeite ich an meinem Schreibtisch und bin stets online. Ich habe immer Schreibschulden. Mit den E-Mails ist es wie früher mit den Briefen. Wenn man sie zu lange nicht beantwortet, findet man sie manchmal nicht mehr. Heutzutage ist der Stapel ein unsichtbarer. Ich habe auch öfters Termine in der Stadt.

Wien ist für mich noch immer eine Wegstation. Es ist meine Geburtsstadt, doch wurde ich vor fast 75 Jahren von hier vertrieben. Das ist ein prägendes traumatisches Erlebnis. Unsere ehemalige Wohnung in der Porzellangasse 50, im 9. Wiener Bezirk, ist für mich ein Symbol der Vertreibung. Ich gehe dort nur selten hin. Auch wenn ich durch den 2. Bezirk gehe, fühle ich mich wie auf einem Friedhof." (DER STANDARD, 9./10.2.2013)