Thomas Arslans Western "Gold": Nina Hoss als allein reisende Frau unter hauptsächlich männlichen Begleitern.

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Es gibt Menschen, die dort ausharren, wo sie sich zu Hause fühlen; und es gibt solche, die aufbrechen, um ihr Glück in der Ferne zu suchen. In den Wettbewerbsfilmen des ersten Berlinale-Wochenendes ging es um die alte Frage, an welchem Ort sich ein Leben führen lässt, das Chancen auf eine erbauliche Zukunft bereithält.

Promised Land war der populistischste unter ihnen: Das rechtschaffene Ökodrama von Gus Van Sant erzählt von den skrupellosen Machenschaften mächtiger Erdgasunternehmen. Matt Damon, der den Film auch koproduziert hat, verkörpert den hemdsärmeligen Verhandler im Außendienst, der der verarmten Landbevölkerung für Fracking-Verträge ein besseres Dasein verspricht. Er stößt allerdings auf Widerstand, weil er die Langzeitwirkungen auf die Umwelt nicht kommuniziert. Ein durchaus spannendes Sujet, das Kapitalismus und ökologische Verwerfungen zusammenbringt, wird hier durch einfältige dramaturgische Konstellationen verschenkt.

Thomas Arslans Western Gold führt nach Kanada, wo deutsche Siedler am Ende des 19. Jahrhunderts sich auf den langen Marsch in den Norden begeben, in der Hoffnung, reich zu werden. Der Film nimmt sich wie eine Schwesternarbeit von Kelly Reichardts Meek's Cutoff aus, ohne an dessen Dichtheit anschließen zu können: Beide suchen eine Binnenperspektive auf Pioniere und deren unterschiedlich gelagerte Begehrlichkeiten. Das Drama entsteht jeweils aus der Reibung ihrer Träume mit der harschen Wildnis.

Arslan arbeitet sich jedoch stärker als Reichardt an Standardsituationen ab, an episodischem Stückwerk, das er mit allzu großer Ruhe aneinanderfügt und durch Landschaftsbilder interpunktiert. Nina Hoss verkörpert eine alleinreisende Frau unter hauptsächlich männlichen Begleitern (u. a. Uwe Bohm und Lars Rudolph), die sich durch ihr couragiertes Auftreten bald hervortut. Erst in der zweiten Hälfte, wenn sich die bösen Omen häufen und einer nach dem anderen aufgeben muss, entwickelt der Film die existenzielle Sogkraft, die zu einem solchen (Überlebens-)Drama dazugehört - Arslan scheint sich hier mit seinem Formalismus ein wenig selbst im Weg zu stehen.

Kompakt und knapp

Dynamischer, affektgeladener geht der Russe Boris Khlebnikov in A Long and Happy Life ans Werk: Hier steht der junge Landwirt Sascha (Aleksander Yatsenko) vor der No-win-Situation, entweder sein Feld gegen eine Entschädigungssumme abgeben zu müssen oder alles zu verlieren. Der im zeitgenössischen Russland, in einer nördlichen Region in der Nähe von Murmansk situierte, kompakte, knapp unter 80 Minuten lange Film ist auch wie ein Western gebaut.

Sascha weigert sich aus Solidarität mit seinen Arbeitern, auf das Angebot einzugehen. Doch anstatt mit neu gewonnener Einigkeit aufzutreten, bricht das Kollektiv bald wieder auseinander. Das fortschreitende Versiegen der Möglichkeiten unterstreicht Khlebnikov mit einer beweglichen Handkamera, welche die Tiefe des Raumes oft verschwinden lässt.

Auch im bisher schönsten Film der Berlinale ist das Zuhause eine Kampfzone. Die Auseinandersetzungen finden in Matt Porterfields (Putty Hill) fein abgestimmtem Familiendrama I Used to Be Darker auf mehreren Ebenen statt: Bill (Ned Oldham) und Kim (Kim Taylor), ein Musikerehepaar, haben sich gerade getrennt, da taucht die junge Nichte Taryn (Deragh Campbell) aus Nordirland auf - sie ist, wie sich später herausstellt, von ihrer Mutter davongelaufen. Porterfield unterspielt die naheliegenden dramatischen Konflikte und betont dafür oft Auseinandersetzungen, die sich aus spontanen Empfindungen heraus ergeben. Zwischen den Generationen kommt es zu überraschenden Übereinkünften, die zwischen dem Ehepaar nicht mehr möglich erscheinen.

In der Musik, die Country-, Soul- und Folk-Elemente zum Verschwimmen bringt, finden die Figuren Ausdruck für ihre Gefühlslagen ("I don't want to fuck you anymore") - und dann geht doch auch hin und wieder unvermutet eine Gitarre zu Bruch. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, DER STANDARD, 11.2.2013)