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"Je edler die Ware, desto größer der Shop" gilt auch hier. Der Flagship-Store für Jagdfalken hat sogar einen Arkadenhof.

Foto: Robert van der Hilst/Corbis

Anreise & Unterkunft

Flug zum Beispiel mit Qatar Airways von Wien nach Doha. Unterkunft: Doppelzimmer im Hotel Souq Waqif im Basarviertel ab 161 Euro. Qatar Tourism: www.qatartou rism.gov.qa. Vom Autor dieses Beitrags ist Sand zu Gold, Wüste zu Geld erschienen (Picus-Verlag Wien, 14,90 €).

Grafik: DER STANDARD

Die Bauarbeiter waren noch gar nicht gegangen, da bröckelte bereits der Putz im neuen Souk Waqif von Doha. An den Häuserecken schien Lehm von den Zwischendecken aus Barasti-Stroh zu bröseln. Auch die weiße Fassadenfarbe im Basar war ungleichmäßig aufgetragen und schien an manchen Stellen von der ersten Sekunde an ausgeblichen. Die Balkendecken mit ihren grau angelaufenen Hölzern wirkten renovierungsbedürftig, kaum dass der letzte Zimmermann seine Sachen eingepackt hatte. Ein seltsamer Anblick in den Emiraten am Golf, wo alles gestylt ist und teuer aussehen soll. Ein Wunder in einer Region, wo sich tagtäglich die Schneewittchenfrage nach dem Schönsten, dem Reichsten, dem Mächtigsten stellt – und jeder sehen soll, was man hat: 2012 löste das kleine Katar das noch kleinere Luxemburg als – statistisch betrachtet – reichstes Land der Welt ab.

Im Souk Waqif ist alle vermeintliche Vergänglichkeit in Wirklichkeit nicht nur Absicht, sondern Auftrag. Der Basar im Zentrum der Hauptstadt von Katar ist zwar auf dem Reißbrett entstanden – aber entworfen und zu großen Teilen errichtet nach den Kindheitserinnerungen des Herrschers Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani. Der milliardenschwere Mann hatte einen sentimentalen Moment und vermisste die Vergangenheit in seiner supermodernen Hauptstadt aus Beton, Stahl und Glas. Vom Basar seiner Jugend waren nur verlassene Ruinen geblieben.

In Rekordgeschwindigkeit war ebenso wie in Dubai und Abu Dhabi fast alles Alte verschwunden. Es ging auch deshalb schneller als anderswo in der Welt, weil es vor dem Boom rund um Öl und Gas in dieser Gegend kaum etwas anderes als ein paar Zelte, Hütten, das eine oder andere Lehmfort und ein paar Kaimauern gab. Jede Erinnerung an diese Zeit der materiellen Armut schien seitdem unschicklich – bis die Machthaber in den Emiraten eine gewisse Traurigkeit darüber packte, dass alles Erbe verleugnet und das Gestern von Bulldozern überrollt wurde.

Heute verkauft Fereidoun Arbabi Jagdfalken in seinem Geschäft im Souk – und Lederhäubchen, Handschuhe, Ausrüstung für die edlen Vögel. Wie das Geschäft läuft? Er lächelt und nickt. "Gut" soll das heißen, denn sogar die Mitglieder der Herrscherfamilie kaufen bei ihm ein und berappen umgerechnet bis zu 50.000 Euro für einen ausgebildeten Falken, das Statussymbol der Oberschicht am Golf.

Ein paar Schritte weiter türmen sich Gewürze, eine Querstraße weiter Stoffe und Kleider, und noch eine Gasse weiter handelt Saad Ismail Khalifa al-Jassim mit Austern aus dem Persischen Golf – und mit deren Perlen. Früher hat er sie selber als Taucher vom Meeresboden ans Tageslicht befördert: "Das war damals, als Scheich Hamad noch ein Kind war und sein Vater Khalifa herrschte", sagt er. Manchmal gibt es bei ihm als kostenlose Zugabe Geschichten aus einer Zeit, als Doha noch ein Dorf war: "Auch damals war hier ein Basar, alt und viel kleiner als heute, aber er sah tatsächlich fast genauso aus – bis er verfiel und niemand mehr kam. Jetzt sind die Menschen zurück, weil sie ihre Geschichte zurückbekommen." Der über 70-Jährige mit dem Burnus hat recht. Beim Souk Waqif ist der Spagat gelungen: etwas neu zu bauen, das alt und nicht nach Plastikwelt aussieht.

Der Erfolg liegt auch darin begründet, dass die Einwohner von Katar selber den neuen Basar in Sichtweite des von Stararchitekt Ieoh Ming Pei aus New York errichteten Museums für Islamische Kunst vom ersten Moment an angenommen haben. Sie kaufen in den winzigen Geschäften für den Alltag ein, speisen in den libanesischen und indischen Spezialitätenrestaurants und treffen sich bei Einbruch der Dunkelheit zum Rauchen der Wasserpfeife. Nach ihnen kamen die Fremden, Touristen ebenso wie Gastarbeiter, und taten dasselbe – weil alles so authentisch wirkt. Die sachliche, kühle und ultramoderne Hauptstadt mit ihren Schachbrettstraßen hat plötzlich ein Herz.

Für die Geschäfte im Souk Waqif gelten Regeln, die noch vor Jahren im Drang nach Moderne und in der Markensehnsucht der Emirate-Araber undenkbar gewesen waren. Leuchtwerbung ist in diesem Gassengewirr so gut wie verboten, Logos dürfen bestimmte Größen nicht überschreiten. Und die gesamte Anmutung eines Ladens muss der eines Basars entsprechen, der über Jahrhunderte gewachsen ist – wie in Istanbul oder Kairo oder Tunis. Verkauft werden soll dort nicht vorrangig, was man auch in den Shoppingmalls bekommt. So gibt es winzige Geschäfte, die nichts als jemenitischen Honig oder ausschließlich einfache Küchengeräte ohne Elektrik anbieten. Eine ganze Gasse ist Zoogeschäften vorbehalten. Auf der Straße verkaufen die Händler Wellensittiche und Papageien, Stroh, Sonnenblumenkerne und Hundefutter.

Und am schönsten ist all das, wenn die Muezzins zum Gebet rufen, die Dämmerung alles Neue herum kaschiert und die Kulisse zeitloser wird. Manchmal flaniert dann einer durch den Souk, der hier schon als Kind gewesen ist: Scheich Chalifa. Manchen Abend bleibt er zum Plaudern bei Perlentaucher al-Jassim, manchmal geht er mit einem neuen Falken nach Hause – gerade erstanden im Souk Waqif, ganz aus einer Laune heraus. (Helge Sobik, DER STANDARD, Rondo, 15.2.2013)