Hannah Arendt im Pressesaal während des Eichmann-Prozesses in Jerusalem.

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Arendt mit ihrer Freundin Mary McCarthy (Janet McTeer).

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Barbara Sukowa als Hannah Arendt .

Foto: Heimatfilm

Hannah Arendt und Mary McCarthy sitzen in Arendts New Yorker Apartment und plaudern. Nicht über politische Theorie, was bekanntlich die Profession Arendts war, auch nicht über Literatur oder Frauenrechte, womit sich McCarthy beschäftigte. Nein, die zwei brillanten Köpfe reden über Männer. Über Hannah Arendts Ehemann Heinrich Blücher, genauer gesagt. Mary McCarthy versucht Arendt dazu zu bringen, Blüchers Umgang mit Frauen doch etwas kritischer unter die Lupe zu nehmen. Diese winkt allerdings desinteressiert ab. Hannah Arendt hat anderes zu tun. Obwohl auch sie eine leidenschaftlich liebende Frau ist - daran will der Film "Hannah Arendt" nicht nur in dieser Einstiegsszene erinnern.

Ausgerechnet die Frauenrechtlerin Mary McCarthy scheint Arendt immer wieder zu Eifersüchteleien anstacheln zu wollen, zumindest wird es so im Filmporträt von Margarethe von Trotta erzählt. Die Regisseurin nähert sich darin der wohl wichtigsten politischen Theoretikerin des 20. Jahrhunderts: Arendt, die Freundin, die Ehe-Frau, die Jüdin, die Vertriebene, die Denkerin. Der Knotenpunkt, an dem all diese Facetten in "Hannah Arendt" herausgearbeitet werden, besteht lediglich aus vier Jahren aus Arendts Leben, jenen zwischen 1960 und 1964. In dieser Zeit fasste Arendt nicht nur den Entschluss, für den "New Yorker" den Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Jerusalem verfolgen zu wollen, sondern sie musste vor allem mit den Konsequenzen dieser Entscheidung zurechtkommen.

Nicht schuldig?

1960 spürt der israelische Geheimdienst in Argentinien Adolf Eichmann auf, der im Dritten Reich die Deportation der europäischen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte. Im April 1961 wird Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt und neben vielen weiteren Anklagepunkten wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk durch die Verursachung des Todes von Millionen von Jüdinnen und Juden und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Eichmann bekennt sich "nicht schuldig im Sinne der Anklage".

Von Eichmanns Festnahme bis zu seiner Verurteilung im Dezember 1961 wird der Fall Eichmann medial intensiv verfolgt und nicht nur in Arendts Kreisen heftig diskutiert. War die Festnahme Eichmanns eine illegale Entführung durch den Mossad, wie Arendts Mann Blücher in einer hitzigen Diskussion des "tribes", dem New Yorker Intellektuellen-Zirkel rund um Arendt, behauptet? Oder war es "heiliges Recht", wie der Philosoph Hans Jonas entgegnet, entsetzt darüber, dass im Zusammenhang mit dem "Monster Eichmann" mit Rechtsstaatlichkeit argumentiert wird. Jonas wird sich im Verlauf des Films noch mehr aufregen müssen, dann aber wegen seiner engen Freundin Hannah Arendt und deren Einschätzungen von Eichmann.

Denn ihr geht es nicht darum, ihre Erregung oder gar Abscheu gegen Eichmann freien Lauf zu lassen. "Ich will verstehen", lautet ihr Credo das sich wie ein roter Faden durch den Film zieht, wie die Rauchschwaden von Arendts zahllosen Zigaretten, ohne die Denken unmöglich scheint. Deshalb sitzt sie während des Prozesses auch lieber im Presseraum, in dem Rauchen erlaubt ist, anstatt direkt im Gerichtssaal und lässt es dort ordentlich qualmen.

Entsetzen über Arendts Thesen

Die Schlüsse, die sie aus ihrer Beobachtung des Eichmann-Prozesses zieht, artikuliert sie kompromisslos. Etwa gegenüber ihrem langjährigen Freund Kurt Blumenfeld in Jerusalem, in einem voll besetzten Café, wo sie selbstbewusst und laut darüber spricht, dass Eichmann nicht einmal Antisemit gewesen sei. Dabei scheint sie gar nicht zu bemerken, dass die Gespräche an den umliegenden Tischen abebben. Sie beschreibt den von vielen als "Teufel" und "Inkarnation des Bösen" bezeichneten Eichmann als geistlosen, mittelmäßigen Befehlsbefolger - ja gar als "gesetzestreuen Bürger". Das Café verstummt.  

Die internationale Empörung, die nach der Veröffentlichung ihrer Berichte im "New Yorker" losbricht, wird auch nicht durch die Ausdifferenzierung von Arendts Thesen unter dem Begriff "Banalität des Bösen" gestoppt. Obwohl sie Eichmann nicht aus seiner Verantwortung entlassen will und sagt, dass er sehr wohl anders hätte handeln können und müssen, davon spricht, dass "keiner das Recht hat zu gehorchen", ist keine Diskussion mehr möglich.

Die Kritik trifft Arendt hart

Die negativen Reaktionen auf Arendts Berichte, die 1964 als Buch erschienen, sind angesichts der inzwischen verbreiteten Theorie über die Banalität beziehungsweise Radikalität des Bösen heute nicht mehr vollends begreiflich. Arendt schrieb schon in den 50ern in "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", dass das radikale Böse kein Motiv habe, denn Neid oder Missgunst reiche nicht als Argument für die Ermordung von sechs Millionen Menschen aus. Diese Thesen wurden durch ihre Anwendung auf Eichmann konkret und gelangten so zu einer breiteren Rezeption. Warum die Empörung derart groß war, will der Film nicht nur mit fiktiven Bildern erklären, was sich als kluge Entscheidung erweist. Die eingespielten Original-Archivbilder aus dem Eichmann-Prozess zeugen von dem unbeschreiblichen Zustand, in dem sich die Menschen angesichts der Shoa befanden und machen die Wut auf Arendts Äußerungen nachvollziehbar.

Die Weigerung, sie selbst und ihre Thesen verstehen zu wollen, trifft Arendt hart. Die massive Kritik beirrt sie aber genauso wenig in ihrem Denken, wie der Bruch mit langjährigen engen Freunden. Für sie scheint es einfach keine andere Option zu geben, als ihre Erkenntnisse zu erklären und zu vertiefen. Und so muss sie zusehen, wie sich Kurt Blumenfeld selbst auf dem Sterbebett von ihr abwendet, an das Arendt nach Jerusalem geeilt ist.

"Genie der Freundschaft"

Mit der Reduktion auf diese Jahre aus Arendts Leben, ausgenommen einige Erinnerungen an ihren Lehrer und Liebhaber Martin Heidegger, gelang ein eindrückliches und spannendes Filmporträt. Dieses gipfelt in einem fast 8-minütigem packenden Monolog, in dem Arendt vor Studierenden und KollegInnen ihre umstrittenen Thesen verteidigt.

Die dargestellten Facetten an Arendt verdichten sich in dieser fordernden Zeit und zeichnen ein fesselndes Bild einer Theoretikerin und eines "Genies der Freundschaft", wie sie Hans Jonas in seiner Grabrede beschrieb. Und ja, Arendt war auch eine Frau. Doch die über den Film verstreuten plumpen Hinweise darauf, hätten wohl auch sie selbst und Mary McCarthy etwas irritiert. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 20.2.2013)