Für Minervas Schönheit stand Lavinia Fontana 1613 eine antike Skulptur Modell.

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Wien - Einen so "unweiblichen" Weg einzuschlagen und Künstlerin zu werden, dazu brauchten Frauen über viele Jahrhunderte hinweg einen männlichen Vertreter dieses Standes in der Familie. Lavinia Fontana (1552-1614) hatte dieses Glück, war doch ihr Vater Prospero Fontana ein angesehener Bologneser Maler, der Altarbilder und Bürgerporträts anfertigte und auch Lavinia ausbildete. Bis zu dessen Tod war die Tochter seine Gehilfin, aber derart erfolgreich, dass ihr Ehemann Paolo Zappi bald nach der Heirat 1577 den Pinsel hinwarf und fortan den Mopp schwang.

Ja, tatsächlich! Ein Maler des 16. Jahrhunderts gab seine Karriere auf, weil die Frau talentierter war als er selbst, und begnügte sich damit, die Mutter von elf Kindern (nur drei überlebten) in ihrer Werkstatt zu unterstützen und die Hausarbeit zu übernehmen.

Eine echte Ausnahmekarriere: Denn nicht nur ihre Familienpolitik war einzigartig, auf Einladung von Papst Clemens (1592-1605) ging Fontana nach Rom, wo Camillo Borghese (der spätere Papst Paul V.) zu ihrem wichtigsten Mäzen wurde. Solche Förderung war rar, ist die weibliche Kunstgeschichte doch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eher eine der Verhinderung und Ignoranz. Bis heute halten manch Ewiggestrige an Boccaccio fest, der in De claris mulieribus 1361 schrieb, Frauen hätten selten das für die Kunst erforderliche Talent. Tintoretto sah das anders und ließ seiner Tochter, Marietta Robusti (etwa 1554-1590), eine vortreffliche Ausbildung zukommen: Als Mann verkleidet, begleitete sie ihn zu Auftraggebern. Als größtes Lob galt es im Übrigen lange Zeit, wenn der weibliche Gestus einen "männlichen Zug" besaß.

Lavinia Fontana schreibt man übrigens auch den ersten von einer Frau gemalten weiblichen Akt zu: Minerva kleidet sich an (1613). Erwähnenswert ist das deshalb, weil Fontana ihr Auge sicher nicht am lebenden Modell geschult hat, sondern vielmehr an antiken Skulpturen. Frauen war es aus Schicklichkeitsgründen bis ins 20. Jahrhundert versagt, am nackten Modell zu studieren. So hatte die Royal Academy of Arts in London mit Angelika Kauffmann und Mary Moser sogar zwei weibliche Gründungsmitglieder; auf dem Gruppenporträt von 1772, das die Mitglieder der Akademie beim Aktstudium zeigt, sind die beiden Damen allerdings nur "virtuell" anwesend - in Form gemalter Bildnisse an der Wand.

Bitte schön im Salon!

Frauen waren an den großen Akademien im 19. Jahrhundert zwar nicht offiziell verboten, aber man wies sie einfach ab. Es galt zwar im 19. Jahrhundert als kultiviert und vornehm, wenn eine junge Dame zeichnete und aquarellierte, aber bitte schön im Salon und nicht etwa von Berufs wegen im Atelier. Élisabeth Vigée-Lebrun (1755-1842) konnte nicht nur ihre Familie finanziell über Wasser halten, sondern wagte sich auch in die männliche Domäne der Historienmalerei vor. Marie Bashkirtseff fand 1877 eine private Akademie, die geschlechtergetrennt unterrichtete. Die Beschwerde des cleveren Fräuleins, ihnen stünden keine Aktmodelle bereit, fruchtete, obgleich die delikaten Stellen der posenden Mannsbilder auch weiterhin bedeckt blieben.

2011, also 22 Jahre nach ihrer ersten pointierten Kritik, mussten die Guerilla Girls (siehe oben) feststellen, dass noch immer nur vier Prozent der Kunst im Metropolitan Museum von Frauen stammte. Dabei ist die Kunstgeschichte - trotz verschärfter Bedingungen - voller mutiger und imponierender Frauengestalten, die die Kunst beeinflusst haben.

Die Kunsthistorikerin Debra N. Mancoff hat einige in Frauen, die die Kunst veränderten (Prestel 2012, € 25,70) versammelt: angefangen bei Sofonisba Anguissola (1531-1625) über Maria Sibylla Merian (1647-1717), der Insektenmalerin, die nach ihrer Scheidung allein mit ihrer Tochter zu Forschungszwecken nach Surinam reiste, bis zu Künstlerinnen der Gegenwart wie Judy Chicago oder Marina Abramovic.   (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 21.2.2013)