Was eine Autorin tun sollte, wenn nicht die wetterstimmungsbedingte depressive Verstimmung, sondern der Schreibprozess progressiv voranschreiten soll: am aufgeräumten Tisch vor einem lichtdurchfluteten Fenster sitzen, Kaffee schlürfen, tippen, ab und zu die Stirne in Denkerfalten legen, zweifeln, verbessern, verwerfen, verzweifeln. Schoko essen. Weitermachen. Eigentlich nicht viel anders in einer Beziehung. Das mit dem Fenster vielleicht ausgenommen. Die Pflege des neuen Romans gestaltet sich aber als Problembärbeziehung, und von der widerspenstigen Zähmung befinde ich mich entmutigende Meilen entfernt. Die Geschichte bockt, wie ein Dreijähriger es nicht besser könnte. Ganz zu schweigen davon, wie mein Tisch in Wirklichkeit aussieht; ich meine mich erinnern zu können, dass die Oberfläche aus rötlichem Buchenholz gewesen ist, bevor all die Sedimentschichten aus Papieren, Zeitungen, Tellerchen, Gäbelchen, Messerchen, Riesenjumboteetassen, Hundekeks und Schokostanniolpapier überhandnahmen.

Mein Tisch ist eine Kontinentalplatte, die nicht auseinanderdriftet, sondern zuwächst. Unmerklich und effizient. Dennoch mit beeindruckender Beschleunigung. Der zu entwickelnde Roman schwingt sich feinstofflich auf mich ein und macht auch auf Kontinentalplatte und driftet beständig von mir weg. Ich sitze an meinem sich immerzu verändernden Mutantenschreibtisch und telefoniere, fresse, lese Zeitungen, schreibe unnötige E-Mails, bestelle Kleider, von denen ich im Voraus weiß, dass sie mir leider nicht passen werden, checke im Minutentakt unnötige E-Mails, die unnötigerweise nicht kommen. Schaue aus dem Fenster: von wegen lichtdurchflutet. So lichtdurchflutet ist es vermutlich auch im Magen eines Wals. Lese auf Facebook nach: Die Kollegen schreiben, dass sie eigentlich schreiben sollten. Bin schadenfroh erleichtert. Schalte zurück und schreibe gar nichts. Denke darüber nach, dass beim Montagsgespräch Matthias Hartmann sagte, dass Computerspiele die Fantasie töten würden, werfe ein Spiel an und töte ebenfalls. Schalte ab und schreibe ein wenig weiter.

Dann fällt mir ein, dass Michael Köhlmeier ebenfalls am Montag sagte, er sehe das Ende des Buches nahen, stehe erleichtert auf und mache Pause, weil es bald sowieso egal ist. Die Verlegerin ruft an, angelockt von der hochfrequenten Facebookaktivität, und fragt nach, wie die Arbeit von der Hand gehen würde. Ich sage, sehr gut. Sie macht den Fehler, mir zu glauben. Ich mache diesen Fehler nicht. Das weiße Blatt Papier ist nicht Unschuld, sondern Verbrechen. Ich stiere es lange an, dann frage ich meine Verlegerin: "Magst du Malewitsch?" "Ja", sagt sie. "Das ist gut", sage ich. "Dann wird es dir gefallen." (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 2./3.3.2013)