Eine verwobene Fläche von Beobachtungen, Gedanken und Wortblitzen: Bodo Hell.

Foto: Marko Lipus

Wer mit einem Text beginnt, sei es als Schreiber, aber auch lesend, sagte Bodo Hell 1991 in seiner Rede anlässlich der Entgegennahme des Erich-Fried-Preises, der könne zwar auf Bestimmtes zurückgreifen, wisse aber nicht, wohin ihn, den Schreibenden, diese Form von bevorstehender Verausgabung führe. Und zitierte dann den Romancier Claude Simon. "Wenn ich schreibe", so der 1913 geborene französische Literaturnobelpreisträger, "drücke ich nicht etwas aus, was schon vor der Niederschrift existierte ... erst im Schreiben entsteht etwas ... das Faszinierende für mich ist, dass dieses Etwas immer unendlich reicher ist als das, was ich mir vorgenommen habe."

Es ist wahrlich kein Zufall, dass Bodo Hell, 1943 in Salzburg geboren und dort aufgewachsen, heute in Wien und seit mehr als 30 Jahren sommers als "Hoida" (Halter) auf der Grafenbergalm in der Steiermark lebend, einen so bildmächtigen Autor wie Claude Simon zitiert. Ist er doch einer seiner wichtigsten Einflüsse. Diese poetologische Selbstaussage Simons, Autor einer Georgica, fernes Echo des Vergil'schen Lehrgedichts über Landbau, ist zugleich Konfession und präzise Selbst-Schreibbeschreibung des Autors Bodo Hell. Denn so wie Simon die Totalität einer zersplitterten und zersplitternden Welt im Festfrieren und Umkreisen von Momenten zu präparieren suchte, so erledigt sich bei Bodo Hell, der in den 1960ern ein breitgefächertes, allein von Interesse und Neugier geleitetes Studium in Wien absolvierte, die Geschlossenheit der Welt durch die wohl einzig adäquate Fortbewegungsart: Stolpern, Stehenbleiben, Vorbeifliegen-Lassen.

Und so bewegt sich auch die Sprache, die Sprachmusik des ausgebildeten Organisten Hell. In Wortketten. In sinnlichen Assoziationsstrophen. In Variationen, Modulationen, Abschweifungen, Verkehrungen. In überbordenden Vokabularfeuerwerken. Martin Adel hat einmal ein schönes Bild für die Wirkung einer Bodo-Hell-Lektüre gefunden. "Es hat etwas von einem Traum", so Adel, "dass man, auf der Stelle tretend, während sich der Erdball unter einem dreht, am Ausgangspunkt anlangt, ohne sich von der Stelle gerührt zu haben." Bodo Hell will nicht ablenken, er will, wie es Norbert Hummelt formulierte, "zulenken", er will "sehend, hörend machen auf das, was sicht- und hörbar ist".

Eine Zulenkung ist auch der nun im Droschl-Verlag, der seit einem Vierteljahrhundert Hell die Treue hält, erschienene Jubilarband. Anstelle einer festzurrenden und fälschlicherweise voreilig festlegenden, nekrologischen Gedenkschrift gibt es zu seinem 70. Geburtstag am 15. März eine Omnibus-Ausgabe. Nicht englisch zu verstehen als Edition mehrerer Werke in einem Band, wie das in Großbritannien und den USA bei manchem Autor literarischer Brauch ist, sondern auf Latein, somit: "Für alle" bedeutend. Und besser hätte man dieses Gratulationsbuch wohl nicht benennen können.

Zu zwei Dritteln besteht es aus Auszügen aus Hell'schen Publikationen, sanft ironisch "exemplarische Texte" genannt, aus einem Drittel aus Kommentaren und Lobreden unter anderem von Ernst Jandl, Elisabeth von Samsonow und Martin Kubaczek und final drei Zugaben von Franz Josef Czernin, dem Schweizer Michel Mettler, der seit 2003 mit Hell in der Maultrommel-Band Vier Maultrommler musiziert, und von Alexander Wied, der eine Kleine BODOLitanei beisteuert.

Bodo Hell: "das Gesagte hat aber mitunter zur Folge, daß die Hörenden am Ende um ihre Ruhe gebracht sind, einerseits Buh-Rufe, andererseits Applaus und Bravo-Rufe, Psychoakustik aus dem Phonogrammarchiv, der elastische Brillenbügel scheuert inzwischen die Hautfalte hinter dem Ohrknorpel wund, auch diesen Sommer werden wieder Dutzende Giftschlangen durch die Straßen der Stadt zischen, zuerst ein Klirren an der Küchentür, dann prekäre Stille, ich höre jetzt direkt die Ruhe vor dem Sturm, Regen fällt: wir lassen ihn fallen."

Bodo Hell ist aber nicht nur Stadtgänger und -befahrer, sondern wesentlich Almbewohner. Naiver Natursänger jedoch nie. Der Schweizer Germanist Ernst Nef meinte zu Hells Bergliteratur, sie ergäbe Schnipsel einer "unendlich verwobenen Fläche", "eine Art Dickicht von Beobachtungen und Gedanken". Erneut belegt wird dies, artistisch beeindruckend, durch seine Kollaboration mit der Malerin und Teilzeitsennerin Ingrid Schreyer - Hell hat ja häufig und gern mit bildenden Künstlerinnen wie Linda Wolfsgruber oder Hil de Gard und mit Musikern wie Renald Deppe zusammengearbeitet. So zart die lavierten Tuschzeichnungen der am Salzburger Mozarteum lehrenden, 30 Jahre jüngeren Künstlerin sind, so konkret, teils drastisch fallen Hells Natur-Kuh-Bergbeschreibungen aus.

Dass Bodo Hell in wenigen Wochen, bei den diesjährigen Rauriser Literaturtagen, als einziger Teilnehmer!, eine Kurz-vor-Mitternacht-Lesung in der Michaelskapelle geben wird, deutet auf literarische Apotheose hin. Dass er einen aus "34 Nachrufen" bestehenden Text lesen wird, auf hellische Ironie.  (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 9./10.2.2013)