Bevor es auf der siebeneinhalb Kilometer langen Rodelbahn talwärts geht, wird man auf der Weißsteinalm tief durchatmen wollen.

Foto: Osttirol / Grafik Zlöbl

Beim ersten Aufstieg ist der erschrockene Blick über die Schulter normal. So wie der reflexartige Sprung zur Seite und die erleichterten Worte danach: "Da kommt ja gar kein Auto." Schließlich war auch keines zu hören. Nur ein bisserl Wind, das gleichmäßige Knirschen der Schritte im Schnee und das eigene Schnaufen.

Das Licht, von dem der keuchende Tross winterfest gekleideter Figuren auf der nächtlichen Bergstraße jäh angestrahlt wurde, musste also von anderswo kommen: Wenn der Vollmond über dem Lienzer Becken aufgeht, wird es auf dem Weg zur Dolomitenhütte schlagartig hell. So hell, dass man dunkle Schatten wirft.

Die siebeneinhalb Kilometer lange Osttiroler Rodelbahn gilt als eine der schönsten Strecken Österreichs. Und das heißt etwas: Unter den 417 öffentlich nutzbaren Rodelbahnen im Land, die von der Rodelseite rodeln.at gelistet werden, gibt es nur wenige, die naturbelassen, vor herrlichem Panorama, auch bei Nacht und auf ansprechender Länge ins Tal führen. Die Homepage winterrodeln.org verabsäumt es demnach nicht, darauf hinzuweisen, dass die Dolomitenrodelbahn Tristach - so der offizielle Name - das "Tiroler Naturrodelbahn-Gütesiegel" führt.

Wo Sonne, da auch Schatten

Kein Wunder, dass am Hang des Rauchkofels im Spätwinter besonders reger Rodel- und Aufstiegsverkehr herrscht. Lienz gehört zu den Städten mit den meisten Sonnenstunden Österreichs, die man oben auf dem Plateau der Weißsteinalm auch intensiv genießen kann. Die Bahn selbst liegt hingegen an der Schattseite und bleibt daher meist lange Zeit befahrbar.

Es gilt also eine Entscheidung zu treffen: wegen des spektakulären Ausblicks über den Lienzer Talboden bei Tag raufgehen oder doch erst nach Sonnenuntergang. Wer noch nie ein Bergmassiv bei Nacht vor sich aufragen sah, findet in den Lienzer Dolomiten bei Vollmond ein ideales Initiationserlebnis. Mögen anderswo Gondeln fahren, muss man sich hier nämlich noch jeden Höhenmeter selbst erkämpfen.

Sportliche Zeitgenossen brauchen meist zwei Stunden, bis sie die Lichter der "Dolo", also der Dolomitenhütte, sehen. Wer es gemütlicher oder mit Kindern angeht, sollte mehr veranschlagen. Allerdings kann man beim Aufstieg auch schummeln.

Die Strecke ist grundsätzlich für Autos gesperrt, aber für Taxis gibt es eine Ausnahmeregelung samt penibel eingehaltener Fahrzeiten und einer eigenen Ampel. Doch Hans Themessl, dessen Verein die Bahn betreut, lobt "seine" Rodler: "Mindestens drei Viertel gehen zu Fuß. So gehört sich das auch."

Dass die Schlittenfahrer de facto zwei Rodelbahnen befahren, ist nur ein Detail am Rande: Die obere Bahn verläuft vier Kilometer auf einer unbeleuchteten Forststraße. Die unteren dreieinhalb Kilometer wurden Ende der 1970er-Jahre in den Wald gebaut - inklusive Beleuchtung, Banden und einer Beschneiungsanlage. Anders wäre es kaum möglich, diese Strecke bei wenig Schnee so lang im Jahr offen zu halten.

Doch die perfekte Instandhaltung je nach Wetter-, Schnee- und Eislage ist noch ganz gut zu handhaben, problematischer sind oft die Rodler selbst. Genauer gesagt: jene Blödheit, die in fast jedem steckt und sich zeigt, sobald man in der Gruppe "fröhlich", also angetrunken unterwegs ist.

Einmaleins und drei Helme

"Mit ein bisserl Hausverstand wären viele Unfälle zu vermeiden", meint Themessl: "Ich sehe oft Leute mit Moonboots. Das ist Wahnsinn! Man braucht beim Rodeln feste Schuhe - irgendwo ist jede Bahn eisig." Zusätzlich zu den drei wichtigsten Dingen beim Rodeln - der Helm, der Helm und noch einmal der Helm - gäbe es auch so etwas wie ein kleines Einmaleins der Rodelsicherheit: etwa beim Aufstieg nicht nebeneinander gehen und an der Kurveninnenseite bleiben; oder Fußgänger durch Rufen und Pfeifen warnen; und in der Nacht nie ohne Hirnbirn, also Stirnlampe, fahren.

Denn gerade weil der Vollmond den Großteil der Dolo-Strecke ausleuchtet, kommt irgendwann bestimmt die Kehre, die ins Stockdunkle führt. Ob der dunkle Haufen, gegen den man dann orientierungslos knallt, ein Baum oder ein freundlich-weicher Schneehaufen ist, weiß man erst, wenn der Mond über Lienz höher steigt und selbst diesen Abschnitt der Bahn ausleuchtet. Die vielen Sonnenstundensammler in Osttirol müssen sich darüber freilich keine Gedanken machen. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Album, 9.3.2013)