Bresson und seine Spuren im Gegenwartskino: Der kasachische Regisseur Emir Baigazin bezieht sich in "Harmony Lessons" ...

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... auf das Bresson-Drama "Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen".

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Die Filme des wirklichkeitsskeptischen Antipoden zum Neorealismus finden bis in die Gegenwart Nachhall.

Wien - Wer sich für die aktuelle Lage in Bulgarien interessiert, könnte in dem Dokumentarfilm Sofia's Last Ambulance von Ilian Metev eine Menge finden. Der junge Regisseur zeigt dort, wie ein dreiköpfiges Ambulanzteam mit den medizinischen (und sozialen) Notfällen in der bulgarischen Hauptstadt zurechtzukommen versucht. Fragt man Ilian Metev nach filmischen Vorbildern, bekommt man eine überraschende Antwort: Robert Bresson.

Gibt es tatsächlich eine mögliche Verbindungslinie von dem französischen Nachkriegsmystiker in die postkommunistischen Transformationsgesellschaften? Das gegenwärtige Weltkino zeigt auch an anderer Stelle, dass dem so ist. Bei der Berlinale lief kürzlich im Wettbewerb ein kasachischer Spielfilm mit dem Titel Harmony Lessons von Emir Baigazin. Der Debütant zeigt sich nicht nur stilistisch von Bresson beeinflusst, er beschäftigt sich auch motivisch mit einem der berühmtesten Filme des Vorbilds: Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen .

Was bei Bresson eine Parabel auf die existenzielle Entscheidung der Résistance war, wird bei Baigazin in ein kompliziertes Manöver kindlicher Selbstbehauptung umgedeutet. Doch zeigt sich auch hier ganz deutlich: Mit Bresson lässt sich arbeiten. Wenn das Österreichische Filmmuseum in den kommenden Wochen also sein Gesamtwerk erneut zeigt, dann ist das mehr als eine Routineveranstaltung, bei der alle zehn Jahre ein Meister zum Zitatenabgleich heruntergekurbelt wird.

Man kann die Schau als eine Spurensuche nach bestimmten Ungleichzeitigkeiten im Weltkino sehen. Zwischen Frankreich 1956 und Kasachstan 2013 gibt es vielleicht keine unmittelbaren Parallelen, aber Bresson dient als Bezugspunkt für einen ästhetischen wie politischen Widerstand gegen einen Konformismus des Konsums und der Gewalt. Die religiösen Wurzeln seines Eigensinns müssen dabei heute nicht mehr geteilt werden. Bresson war Jansenist, er hing also einer an Augustinus anschließenden verschärften Gnadentheologie an, die nichts auf menschliche (gute wie schlechte) Werke gab.

Der grundsätzliche Wirklichkeitsvorbehalt, der sich darin äußert, ist in Bressons Filmen überall zu sehen, obwohl er durchaus starke, kreatürliche Elemente kennt (er zeigte den Schmerz, ob das nun der Esel Balthazar oder der Landpfarrer von Ambricourt in der Verfilmung eines Georges-Bernanos-Romans war). Neben dem ontologischen Optimismus, den der Neorealismus eines Rossellini auch noch in höchst tragischen Momenten hatte, war Bresson im Kino nach 1945 damit auf eine Einzelgängerrolle festgelegt.

Undurchdringlichkeit

Das verschärfte sich durch wesentliche Auffassungen von der Filmkunst, wie er sie in seinen Notizen zum Kinematographen niederlegte, ein Text von charakteristischer Undurchdringlichkeit. Besonders seine Behandlung von Schauspielern als "Modelle", die nicht psychologisch-dramatisch mit ihrem Text identisch sein sollten, brachte einen Verfremdungseffekt mit sich, der dem von Brecht auf dem Theater zwar nicht verwandt, aber doch vergleichbar ist. Bresson kam von der Malerei und ließ sich niemals vollständig auf das Erzählkino ein. Im Vergleich zu seinen dreizehn Filmen wirken die meisten Experimente der Nouvelle Vague zeitgebunden, man sieht, dass bei Bresson andere Zeitrechnungen wirksam sind.

Im Filmmuseum wird die Retrospektive nun so gut wie möglich auch filmisch kontextualisiert. Das heißt, dass alle wesentlichen erreichbaren Arbeiten über Bresson gezeigt werden, ob das nun die Versuche von Manfred Blank, Hartmut Bitomsky und Harun Farocki sind, in die Filmarbeit von Bresson einzudringen, oder ein Beitrag über Bressons Interpretinnen. Das sind wesentliche Hilfestellungen zu einem Werk, dessen Komplexität vielfach in der Reduktion liegt und in dem Kino besonders nahe an die Paradoxien der modernen Kunst rührte. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 13.3.2013)