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Panamas Fondas sind Raststätten für den Geist: Wer die Eindrücke einer Fahrt auf der Panamericana zwischendurch verdauen will, wartet gerne zehn Minuten auf eine frisch zubereitete Flussbrasse oder einen deftigen Bohneneintopf.

Foto: Corbis / Danny Lehman

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Rund 13.000 Kilometer nach dem Aufbruch in Alaska lässt kaum etwas drauf schließen, dass das Asphaltband der Panamericana schon bald im Regenwald endet.

Foto: Corbis / Tim Page/

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In Yaviza, am Ufer des Rio Chucunaque, ist es dann so weit: Wer ab hier auf dem Landweg weiterkommen will, darf kein Faultier sein.

Anreise & Unterkunft

Flug von Wien nach Panama-Stadt: günstig zum Beispiel mit American Airlines (meist zwei Zwischenstopps) oder mit KLM (ein Stopp); Mietwagen: ab 110 Euro pro Woche; vom Flughafen Albrook und dem Busbahnhof in Panama-Stadt täglich Minibusse nach Yaviza. Unterkunft: mehrere einfache Pensionen in Yaviza zwischen sechs und 20 Euro/ Person; organisiert: etwa mit Ancon, auf Ökotourismus spezialisiert; von individuellen Reisen in das unmittelbare Grenzgebiet zwischen Panama und Kolumbien wird abgeraten; www.visitpanama.com

Grafik: DER STANDARD

Sie ist die berühmteste Straße der Welt. Alles an der Panamericana ist überwältigend. Mindestens 25.750 Kilometer fährt man, um von Alaska bis nach Feuerland zu kommen, berührt dabei alle Klimazonen der Erde. Durch 14 Länder führt sie, mit Nebenstrecken noch in eine Handvoll mehr. Sie steht für Freiheit am Steuer und im Kopf. Jack Kerouacs Beatnik-Bibel On The Road huldigte schon in den 1950er-Jahren dem Pan-American Highway, wie die Straße in den USA heißt. Es gibt Dutzende Reisebücher über und verrückte Rekorde auf der Panamericana. Ein Autofahrer schaffte sie in 23 Tagen, ein Radler in 125. Sie ist ein Symbol für grenzenloses Reisen - wenn da nicht diese lächerlich kleine Lücke wäre: In der Provinz Darién, im äußersten Südosten Panamas, fehlen gut 100 Kilometer.

Tapón del Darién, den "Darién-Stöpsel" nennen sie die Lücke auf Spanisch. Ein Stachel im Fleisch der motorisierten Abenteurer, die die schmale Landbrücke in Zentralamerika mit dem Schiff umfahren müssen, ein Hohn auf das Machbare im Zeitalter globaler Vernetzung.

300 Kilometer südöstlich von Panama-Stadt bietet nur die Klimaanlage des Autos ein wenig Abkühlung. Es geht vorbei an flachen Häusern mit exotisch bunter Vegetation in den Vorgärten. Hier drängen sich Tiere und Pflanzen in einer Vielfalt und Pracht wie in wenigen anderen Weltgegenden. Ein wilder Landstrich, so groß wie Tirol, kaum erschlossen. Nur etwa 46.000 Menschen leben hier. Es ist keine alltägliche, keine einfache Reise, an Checkpoints werden mehrfach die Papiere kontrolliert. Es sind kleine Posten: einspurige Fahrbahn, großes Stoppschild, ein Holzverschlag in Oliv, Männer in Tarnuniform.

Der Uniformierte gibt die Pässe zurück. Alles in Ordnung. Es geht weiter auf dem zweispurigen Asphaltband, das den Darién durchschneidet. Manchmal schnurgerade, dann wieder in weichen Schwüngen verläuft hier die Panamericana. Weideland, wohin man schaut, Hügelketten auf und ab, über rostende Eisenbrücken geht es vorbei an kleinen Siedlungen, deren einfache Holzhütten fast verschluckt werden von der sattgrünen Natur.

Javier Calvo ist Exmilitär, der stämmige 63-Jährige aus Panama-Stadt begleitet uns. Sein gesamtes Berufsleben verbrachte er in einer Versorgungseinheit der Armee. Heute ist er Pensionist, sein Sohn arbeitet als Diplomat im Ausland. Javier hat eine kleine Finca im Darién und kennt dort viele Menschen. Nur 300 Kilometer sind es von der Hauptstadt bis ins Herz des Urwalds. Ein Katzensprung auf der längsten Straße der Erde - und doch ein weiter Weg. Immer wieder gibt es Löcher und Blasen im Teer, über die Javiers alter Toyota wie ein Ziegenbock hüpft.

Frittiertes an der Lebensader

Wir machen Pause in einer Fonda, einer der einfachen Gaststätten an der Panamericana. Tagelöhner, Bauern, Lastwagenfahrer - alle essen hier. Es gibt Huhn und Rind, Reis mit Linsen, schwarze Bohnen, frittierte Bananen. Die Straße ist die Lebensader für die Menschen des Darién. Ohne sie gäbe es in der Provinz keinen Anschluss zum Rest der Welt. Hier findet sich alles: die Tankstellen, Geschäfte, Werkstätten und die Mobilfunkshops. Hier geht es zum Bus, zum Markt, ins Dorf und zum nächsten Krankenhaus.

Wir fahren weiter. Die Siedlungen werden immer kleiner. Rechts taucht Arimae auf, das Hauptreservat der beiden wichtigsten Indio-Stämme des Darién, der Emberá und Wounaan. Sie leben dort in ihren traditionellen, an den Seiten offenen Rundhütten, die auf hohen Stelzen stehen und so geräumig sind, dass sie je eine Großfamilie aufnehmen. Wir halten am Straßenrand und steigen aus.

Neben einem Feldweg sitzen ein paar Männer auf einem Baumstamm. Die Campesinos sind Javiers Nachbarn, dessen Finca hinter den Baumriesen des Urwalds liegt. Die meisten Bauern siedelten sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts im Darién an und rückten mit dem Ausbau der Panamericana immer weiter in die Regenwaldgebiete vor. Sie halten Rinder, bauen Yams an, Bananen und Reis. Javier begrüßt die Männer, dann spricht er mit einem von ihnen über neue Stromleitungen, den Ausbau des Feldwegs, alltägliche Dinge, mit denen sich die Menschen im Darién auseinandersetzen müssen. Von hier aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zu unserem Ziel.

Yaviza liegt in einem Bogen des Rio Chucunaque, des längsten Flusses in Panama. Träge und erdbraun fließt er dem Pazifik entgegen. Mit seinen 2000 Be-wohnern ist Yaviza einer der größten Orte in der Region. Am Bootsanleger, einer überdachten Betonfläche, liegen Piraguas. Die schlanken Holzboote sind bis obenhin voll mit Bananen. Männer entladen sie und schleppen die Stauden zu zwei Pick-ups, die bereits warten.

Wir gehen ins Lokal Reposo, was auf Deutsch Rast bedeutet. Genau das ist es, was wir nach sieben Stunden Autofahrt brauchen. Das kanariengelbe Lokal schiebt sich wie ein Grenzstein ins Asphaltband. Und dann kommt El Repollito wie ein Walross durch die Küchentür. "Kohlköpfchen" nennen hier alle den massigen Wirt. "Was wollt ihr essen?", fragt er. "Was hast du?", "Pargo blanco", also Flussbrasse. "Kommt in zehn Minuten wieder, dann ist sie fertig!"

Draußen brütet die Sonne. Ein paar Männer sitzen im Schatten einer Veranda. Wir sehen uns um: Hier rücken die Häuser zusammen, als wollten sie der eben noch breiten Straße die Luft rauben. Der Asphalt franst aus, dahinter liegt wie ein Riegel eine Reihe Holzbuden. Das war es. Kein Abgrund, kein Ozean, kein unüberwindbares Gebirge, das sich uns in den Weg stellt. Nach 13.000 Kilometern durch Nord- und Mittelamerika endet der Mythos Panamericana hier mitten im Dschungel Panamas so banal, dass einem die Worte fehlen.

Yaviza ist ein Ort wie das Set aus einem Indiana-Jones-Film: Alles erscheint unwirklich und aus einer vergangenen Zeit. Ein Ort mit grellen, abblätternden Farben; mit Cantinas, in denen Latinohits wummern und zu viel gebechert wird. "Die Menschen wollen die Moderne", sagt Javier. "Das Geld dafür können sie nur mit dem verdienen, was wir hier haben: Rinder und Landwirtschaft. Alle im Darién wollen den Ausbau der Panamericana".

Annäherung an ein Naturerbe

Über den Chucunaque führt eine lange Hängebrücke für Fußgänger in den neueren Teil Yavizas. Hinter den Häusern baden Frauen und Kinder im Fluss. Dahinter beginnt die Wildnis: namenlose Wasserwege, reglose Sümpfe, das Dickicht des tropischen Regenwalds. Dort liegt auch der Darién-Nationalpark, der zum Naturerbe der Unesco zählt. Er ist Lebensraum für 500 Vogel- und 450 Baumarten, von Jaguaren, Pumas und Faultieren. Auch die Tourismusbehörde Panamas schwärmt von den Naturschönheiten der Region. Allerdings will sie, dass Urlauber zum Ort La Palma mit dem Flugzeug reisen und von dort den Nationalpark besuchen. Es sind organisierte Gruppenausflüge. Sich individuell dem abgelegensten Winkel Mittelamerikas zu nähern, geht nur auf der Traumstraße.

"Ohne die Carretera gibt es für uns keine Zukunft", sagt Enrique Lorén. Er wurde vor 72 Jahren im Darién geboren. Seit zwei Jahrzehnten kümmert sich er um die Belange der Bewohner in dieser Gegend, ein respektierter Volksvertreter. "Erst seit kurzem ist die Straße bis Yaviza asphaltiert. Zehn Jahre haben wir für die 26 Kilometer von Canglón gebraucht. Wenn jemand krank war, dauerte es unglaublich lange, bis ein Arzt aus dem Norden über den Fluss hierherkam."

Es ist eine unübersichtliche Gemengelage im Darién: Panamas Regierung, die die Panamericana zwar gerne weiter zur Entwicklung der Region ausbauen würde, aber Angst vor Guerilleros und Drogenkartellen im Niemandsland hat; Siedler wie Enrique Lorén, die ihre landwirtschaftlichen Produkte vermarkten müssen; Ökologen, die die Artenvielfalt des Regenwalds in Gefahr sehen; Indios, die alles so lassen wollen, wie es ist. Auch Kolumbien würde gerne mit dem Ausbau der Straße durch den Darién beginnen - aber nur, wenn der Nachbar mitmacht.

Bautechnisch wäre das alles kein Problem. Doch die Vereinigten Staaten, nach der Rückgabe des Panamakanals weiterhin "Großer Bruder" im Hintergrund, tun alles, um das zu verhindern, weil sie ebenfalls das Einsickern von Rebellen und Drogen befürchten. Und genau dieser Konflikt verschiedener Interessen sorgt dafür, dass die lächerlich kleine Lücke in der längsten Straße der Welt Bestand haben wird. (Michael Marek und Sven Weniger, DER STANDARD, Rondo, 22.3.2013)