Burnout ist keine Modediagnose, sondern Folge weiter steigenden Drucks und ungeduldigen Kapitals: Joachim Bauer.

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STANDARD: Persönliche Anerkennung und Wertschätzung aktivieren die neurobiologischen Motivationssysteme. So viel ist aus der Hirnforschung bewiesen, diese (auch) Ihre Arbeit hat mittlerweile auch Fixplätze im Seminar- und Weiterbildungsangebot. Warum läuft trotzdem so viel in die gegenteilige Richtung?

Bauer: Wir erleben seit 20 Jahren einen Prozess, den Richard Sennett als "neuen Kapitalismus" bezeichnet, den Druck auf Unternehmen, die Politik der steigenden Kurse und immerfort steigende Gewinne zu machen. Dadurch sind Instabilität und Umstrukturierungen zu einem Selbstwert geworden. Permanente Unruhe gilt da als Qualitätsmerkmal inklusive Personalwechsel. Da hat gute Führung gar keine Zeit mehr, sich auszubilden.

STANDARD: Wie sähe sie aus?

Bauer: Um Potenziale auszuschöpfen, muss zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten eine produktive Resonanz in Gang kommen, für deren Gelingen unser Gehirn die Spiegelnervenzellen bereithält. Führungspersonen sollten starke Resonanz-Empfänger sein, um die innere Position ihrer Mitarbeiter ein Stück weit intuitiv zu erfassen und zu begreifen - nicht um sie in Watte zu packen, sondern um die Mitarbeiter auch zu erreichen. Und sie sollten auch starke Sender-Eigenschaften haben: Manager können durch ihr Auftreten Mitarbeiter intuitiv veranlassen, die innere Position der Führungsperson, vor allem deren Erwartungen und Visionen, zu erfassen und zu übernehmen.

STANDARD: Mit Unehrlichkeit und bloßer "Performance" bleibt statt positiver Resonanz lediglich Misstrauen, weil gefühlt wird, dass es nicht stimmt?

Bauer: Natürlich. Auch Fairness ist kein Fantasiekonstrukt irgendwelcher Gutmenschen, sondern ein neurobiologisch verankertes Prinzip des zwischenmenschlichen Umgangs. Erlebte Unfairness ergibt Widerstand, Passivität, Verweigerung. Besonders gefährlich sind Führungsstile, die als ausgrenzend und demütigend wahrgenommen werden: Vom Gehirn können sie als willkürlich zugefügter körperlicher Schmerz wahrgenommen werden und zu Reaktionen wie Aggressivität oder Sabotage führen.

STANDARD: Das Erleben unfairer Arbeitsbedingungen hat sich verstärkt. Lässt sich Burnout damit in Zusammenhang bringen?

Bauer: Als Folge des enormen Profit- und Spardrucks bestimmt. Und ja, das Kapital ist noch ungeduldiger geworden, es geht um schnellen Erfolg, die Folgen sind Arbeitsverdichtung, Fragmentierung, permanente Erreichbarkeit, das hat sich verschärft. Arbeit ist zu einem Diktat geworden, das uns auch gesundheitlich ruiniert. Und auch die Generation nach uns. Der Druck nimmt weiter zu.

STANDARD: Kaum jemals bewerten Sie in Ihren Büchern, Sie nehmen sich auch emotional sehr zurück, trotzdem: Was schmerzt Sie in diesem Zusammenhang?

Bauer: Mich bedrückt, dass Arbeit alles ausfüllt, wir kaum Zeit für Kinder, für Familie haben. Dass wir unter ständig steigendem Leistungsdruck immer weniger Freude erleben, Muße, Geselligkeit. Mich bedrückt, dass wir plattgemacht werden.

STANDARD: Der Ausweg?

Bauer: Wir brauchen eine neue Solidarnosc, wir müssen uns wehren, uns stärker miteinander engagieren, gesellschaftlichen Diskurs zum Diktat der Arbeit verlangen. (Karin Bauer, DER STANDARD, 23./24.3.2013)