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Strom kennt keine Grenzen, doch Gesetze, Infrastrukturprobleme, Regulierung und immer wieder Verzögerungen bremsen Europas Weg in die Energiezukunft. Aktuell besteht sogar die Gefahr, dass alle drei Hauptziele der europäischen Energiepolitik verfehlt werden, erklärt Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie. Die Umweltziele, insbesondere die Reduktion des CO2- Ausstoßes wackeln, weil der Markt für Emissionszertifikate zusammengebrochen ist. Das Ziel einer kostengünstigen Versorgung ist in Gefahr, weil die Förderungen allenthalben zu explodieren drohen und die Versorgungssicherheit leidet unter den Ungleichgewichten, die den Märkte und der Infrastruktur zusetzen. "Österreich ist zwar dank der Struktur unserer Stromversorgung weniger betroffen als Deutschland, aber über die Kopplung der Märkte im zentraleuropäischen Raum bleiben auch wir nicht verschont," so Schmidt.

Ein weiteres problembelastetes Thema ist die Investitionssicherheit. Diese liegt auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger besonders am Herzen, wie er Ende Februar beim Energierat in Brüssel betonte. Und im November des Vorjahres hatte Oettinger in einer Analyse zum Fortschritt des Energie-Binnenmarktes wiederum das ernüchternde Fazit gezogen, dass in manchem EU-Mitgliedsstaat immer noch zu großer Staatseinfluss den Wettbewerb belaste. Die Schelte Oettingers richtetet sich dabei vor allem gegen Frankreich und dessen Strompreis-Diktat.

Liberalisierungsbremser Frankreich

Der französische Markt ist nämlich einer der am stärksten konzentrierten Elektrizitätsmärkte in der EU und wird nach wie vor vom Staatskonzern Electricité de France (EdF) dominiert. Frankreich befindet sich derzeit im Kampf gegen die Krise, die Staatsschulden werden schon bald 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachen. Die Liberalisierung des Strommarkts spielt deshalb auch in diesem Zusammenhang, zum Missfallen der EU, eine recht untergeordnete Rolle. Im November 2010 beschloss Frankreich die Strommarkt-Liberalisierung. Nicht zuletzt auch auf Druck der EU-Kommission wurde vorgesehen, dass EdF in Zukunft pro Jahr etwa ein Viertel seiner Stromproduktion, knapp 100 TWh, an Mitbewerber verkauft.

Diese Zusagen sind zunächst für 15 Jahre gültig. Zudem wird Privatkunden durch den Beschluss ein einfacherer Stromanbieterwechsel ermöglicht. Das Gesetz schaffte auch bis Ende 2015 den Regeltarif für Industriekunden ab. Diese vom Staat festgesetzten Tarife lagen weit unterhalb der Marktpreise und wurden daher von den Wettbewerbshütern der EU wiederholt heftig kritisiert. Staatspräsident Hollande verkündete im Herbst 2012 den Willen zu einer Energiewende, derzeit stammen 80 Prozent des französischen Stroms aus den 60 Atomkraftwerken des Landes.

Übrigens: Frankreich verbraucht mehr als doppelt so viel Strom wie Deutschland, obwohl etwa 15 Mio. Menschen weniger im Land leben.

Krisen-Epizentrum Deutschland

Den Markt beim Nachbarn Deutschland teilen sich seit der Liberalisierung des Strommarkts 1998 vier große Konzerne. Sie produzieren insgesamt 80 Prozent des deutschen Stroms: RWE mit Sitz in Essen versorgt den Westen Deutschlands, der schwedische Konzern Vattenfall das Gebiet der ehemaligen DDR, E.ON aus Düsseldorf einen Nord-Süd-Streifen zwischen dänischer und österreichischer Grenze und das kleinste der vier Unternehmen, EnBW, versorgt Baden-Württemberg. Da in Deutschland keine großen Zuwächse mehr zu verzeichnen sind und viele Stromkunden den Versorger wechseln, verstärken die großen Vier ihre Aktivitäten im Ausland, auch in Österreich. Reguliert werden die Preise für die Nutzung der Netze von der Bundesnetzagentur mit Sitz in Bonn. Im vergangenen Jahr haben laut Befragung 17 Prozent der Deutschen ihren Stromanbieter gewechselt und weitere elf Prozent bei ihrem bisherigen Anbieter einen neuen Tarif gewählt.

Dringender Ausbau der Netze

Seit der Energiewende, die eine Abkehr vom Atomstrom bis 2022 hin zu den erneuerbaren Energien brachte, ist in Deutschland von einem neuen Marktdesign die Rede. Doch noch ist es nicht gefunden, unzählige Probleme hingegen sind definiert: Besonders drängend wird der Ausbau der Netze empfunden. Es gibt viel zu wenige Leitungen, zumal die meiste Energie nach wie vor im Süden des Landes abgenommen wird, die Erzeugung aber vermehrt aus dem Norden, künftig sogar von hoher See oder Skandinavien, kommen wird. Völlig ungeklärt ist derzeit jedenfalls, wie die Unregelmäßigkeit der Einspeisung von Wind- und Solarenergie aufgefangen werden soll: Gaskraftwerke als Reservekapazitäten rentieren sich nicht. Die Bundesregierung hat deshalb ein Abschaltverbot für systemrelevante Kraftwerke im Winter beschlossen. Inzwischen wird wieder verstärkt mit Kohle Strom erzeugt, was man in Deutschland verhindern möchte. Kohle jedoch ist inzwischen besonders günstig zu haben, CO2-Zertifikate kosten mitunter faktisch nichts. Generell rechnet man vor der Bundestagswahl im September 2013 jedenfalls mit keinen wesentlichen Veränderungen auf dem Strommarkt.

Schweiz sucht "Energiestrategie 2050"

Analog zur Entwicklung in Deutschland hat sich auch die Schweiz für eine Energiewende entschieden und den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die dazugehörige Diskussion ist in der Bevölkerung, den Medien und in der Politik in vollem Gange. Während über das Ziel weitgehend Einigkeit besteht, müssen aber zahlreiche Details für den weiteren Weg erst noch geklärt werden. Sorgen bereitet der Schweiz, die sich als gleichberechtigter Partner im europäischen Netzverbund sieht, jedenfalls die zunehmend unnachgiebige Haltung der EU in der Frage des bilateralen Energieabkommens. "In der Öffentlichkeit und in der Politik der Schweiz findet zur Zeit ein intensiver Diskussionsprozess statt, um zu klären, wie der Beschluss zum Atomausstieg umgesetzt werden sollte", sagt Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) in Aarau.

"Beim Thema Energieeffizienz setzt die Politik unseres Erachtens zu sehr auf staatliche Eingriffe, was sich kontraproduktiv auswirken wird", ergänzt Frank. Während der VSE Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz klar bejahe, sagt er ebenso deutlich nein zu Zwangsmaßnahmen gegenüber Energieunternehmen und zur Missachtung des Verursacherprinzips.

"Bei der Förderung der neuen erneuerbaren Energien im Ausland zeigen sich Kinderkrankheiten, über die man auch in der Schweiz nachdenken muss", meint Frank. Zurzeit erfolge die Förderung rein unter dem Gesichtspunkt der Ertragsmaximierung der einzelnen Anlage, statt das Versorgungssystem als Ganzes und damit den Verbraucher und die Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Da Strom nur sehr begrenzt und mit hohem Aufwand speicherbar sei, werde mit der derzeitigen Förderphilosophie immer mehr Strom am Bedarf vorbei produziert. Leidtragende seien in erster Linie nicht etwa Kern- oder Kohlekraftwerke, sondern solche erneuerbaren Energien, die zurzeit nicht gefördert werden. So müssten beispielsweise Schweizer Pumpspeicher- und Laufwasserkraftwerke mittags ihre Produktion drosseln oder abstellen, wenn Solarstrom aus Süddeutschland ihre Preise unterbietet. "Sinnvoller wäre es, wenn man bei der Förderung nicht die reine Produktion, sondern die nachfragegerechte Versorgung in den Vordergrund rücken würde", erläutert Frank weiter.

Italien – nicht nur politisch in Bedrängnis

Zwar zählt Italien zu den weltweit führenden Industrieländern, doch rangiert es derzeit bei der Stromnachfrage im internationalen Vergleich nicht an prominenter Stelle: So verbraucht in Italien jeder Einwohner etwa 5384 kWh jährlich. Hier liegt Griechenland mit seinen 5245 kWh nicht weit dahinter, Irland (6023 kWh/Kopf), Österreich (8358 kWh/Kopf) und die OECD-Länder insgesamt (8315 kWh) weisen deutlich höhere Werte auf. Die Wirtschaftskrise hat deutliche Spuren hinterlassen.

Der Stromverbrauch in Italien ist räumlich sehr ungleich verteilt: 2011 entfielen nach Angaben von Terna, dem Betreiber des Hoch- und Höchstspannungsnetzes, allein auf die Lombardei fast 21 Prozent des Bedarfs, nimmt man Venetien hinzu, so decken diese zwei wirtschaftsstarken Regionen gut 30 Prozent der landesweiten Nachfrage ab. Auch der Pro- Kopf-Verbrauch schwankt sehr stark zwischen 8118 kWh in Friaul-Julisch Venetien und 2819 kWh in Kalabrien. Bemerkenswert ist die Rate an Kunden, die den Versorger wechseln. Der Regulierer beziffert dies mit sieben Prozent des gesamten Marktes, betroffen waren dabei 22,9 Prozent der verteilten Strommenge.

Auf der Erzeugerseite fallen vor allem zwei Dinge ins Auge: Die markante Abhängigkeit vom Erdgas, auf das 2011 mit 140,6 TWh ein Anteil von gut 48 Prozent des produzierten Stroms entfiel sowie das außerordentliche Wachstum der Erzeugung durch Fotovoltaik (2011: + 469 Prozent auf 10,7 TWh) und Windkraft (+ acht Prozent auf 9,8 TWh).

Bemerkenswert, auch im internationalen Vergleich, sind die hohen Einfuhrmengen sowohl an Erdgas, als auch an Strom. Die sich ergebende Abhängigkeit von den Lieferländern ist dadurch noch sehr groß. Dabei stellt sich das Defizit im Strombereich bereits seit Ende der Siebziger Jahre dar. Mit der Verstromung von Solar- und Windkraft könnte sich das Bild jedoch künftig verändern.

Tschechien setzt auf Atomkraft

Tschechien wiederum will seine Rolle als Knotenpunkt in der europäischen Energielandschaft künftig weiter stärken. Der Atomkraft und dem Netzausbau kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Der Strommarkt in Tschechien wurde schrittweise von 2002 bis 2005 liberalisiert. Seit 2006 haben alle Kunden auch die Möglichkeit, frei den Stromlieferanten zu wählen. Zu den bedeutendsten Stromhändlern zählen CEZ Prodej, E.ON Energie und Prazská energetika. Die Übertragungsnetze stehen im Eigentum vom durch den Staat kontrollierten CEPS a.s. Auf der Erzeugungsebene ist der Markt hoch konzentriert. Die staatseigene CEZ bleibt wohl auch weiterhin der dominierende Elektrizitätserzeuger, sie hielt 2010 bei einem Marktanteil von 75 Prozent. Keine andere Gesellschaft konnte einen Marktanteil erzielen, der über fünf Prozent lag.

Der 2001 eingerichtete nationale Regulator Energetický regulacˇni urˇad (ERO) hat über die Jahre eine auch von der EU anerkannte Unabhängigkeit von Regierung und Industrie erreichen können und wird von Experten als glaubwürdiger und unabhängiger Player im Energiemarkt betrachtet.

Eine große Aufgabe für die tschechische Energiewirtschaft ist die Energieerzeugung. Nach wie vor kommt fast die Hälfte der tschechischen Primärenergie aus traditionellen Quellen, vor allem aus Braun- und Steinkohle. Allerdings erhöhte sich in den Jahren 2009 und 2010 der Anteil der erneuerbaren Energiequellen an der Primärenergie. Die Anzahl der Fotovoltaik-Anlagen stieg im Zeitraum von 2008 bis 2010 sprunghaft von 1457 auf 12.861 an. Ende 2010 entschied sich die Regierung dann, die umfangreiche Förderung von Fotovoltaik Anlagen stark einzuschränken. Derzeit wird an der Umsetzung eines neuen Energiekonzepts gearbeitet. Dieses setzt Schwerpunkte bei Energiesicherheit, Unabhängigkeit der Energieversorgung, nachhaltiger Entwicklung und angemessenen Preisen.

An den Ausbauplänen der AKW Temelín und Dukovany wird festgehalten. Der Anteil der Kernenergie soll von 15 Prozent (2005) auf 25 Prozent (2030) steigen, was auch die Errichtung neuer Reaktoren erforderlich macht. Tschechien will seine Position als Transitland stärken und ein wichtiger Handelspartner im Stromsektor in den MOE-Staaten bleiben. Derzeit exportiert Tschechien ein Fünftel seiner Stromproduktion. In den kommenden Jahren will die Regierung Millionenbeträge in den Netzausbau investieren, um den Herausforderungen durch Wind- und Solarstrom aus Deutschland besser begegnen zu können.