Sie werden alle an ihren Schaltern sitzen, sagt der Minister. Alles wird normal aussehen. So stellt sich das Haris Georgiades vor, Zyperns junger Arbeits- und Sozialminister. "Nur im Hintergrund gibt es verschiedene technische und legale Arrangements." Es ist eine vornehme Umschreibung für die Kapitalkontrolle, die Knebelung der Kunden nach ganzen zehn Tagen Bankenschließung: Keine Bargeldbehebungen über ein gewisses Limit sind möglich, keine großen Überweisungen ins Ausland, keine Kontenschließungen.

Georgiades ist am Montag um vier Uhr morgens aus dem Bett geklingelt worden; zweieinhalb Stunden Schlaf sind es dieses Mal geworden. Der Arbeits- und Sozialminister musste zur Zentralbank fahren, einige dieser " legalen Arrangements" unterschreiben anstelle des Finanzministers, der in Brüssel konferierte.

Zypern bereitet sich auf den Bankensturm vor. Am Dienstag ist es soweit. Kleinere Banken sollen öffnen, allerdings soll das Abhebungslimit von 100 Euro beibehalten bleiben. Die beiden Großbanken Laiki und Bank of Cyprus, die vor einer Abwicklung stehen, bleiben hingegen bis Donnerstag geschlossen. Die Lebensmittelläden sind dennoch voll, man zahlt eben mit Karte.

Zyperns Präsident Nikos Anastasiades nannte das Rettungspaket " schmerzhaft". Die Insel werde aber "wieder auf die Beine kommen", gab er sich Montagabend in einer Rede an die Nation überzeugt. Bei den Verhandlungen mit Eurozone und IWF habe es "dramatische Augenblicke" gegeben.

Im Präsidentenpalast in Nikosia ist es ruhig, aber nicht weil Feiertag ist - der griechische Unabhängigkeitstag. Der Staatschef ist noch nicht zurück aus Brüssel, und mit ihm sind sein Regierungssprecher und der Finanzminister. In den Büros läuft überall dieselbe Expertenrunde auf einem zypriotischen Fernsehkanal über die Flachbildschirme. Es geht um die Einigung in Brüssel in der Nacht auf Montag, um den Ansturm auf die Banken, der kommen wird, den Absturz der Wirtschaft, und dann fängt die Diskussion im Studio wieder von vorne an.

"Eine Woche lang haben wir nicht gearbeitet, eine Woche sind wir zu Hause gesessen und haben nur diese fürchterlichen Nachrichten gesehen", sagt Royce Agiriou, ein Familienvater und ein Bankangestellter. Montagmorgen sind er und seine Kollegen zum Hauptsitz der AlphaBank in Nikosia gerufen worden. Informationen über den Tag der Banköffnung haben sie bekommen, zu den Details will er nichts sagen. Aber Agiriou versteht die Welt nicht mehr. Tief hat sich die Enttäuschung über die harten Sparauflagen der europäischen Partner eingegraben. "Wir sind in die EU gegangen, und jetzt lassen sie uns auf dem Meer zurück", sagt er, nimmt seine Kinder und verabschiedet sich.

"Heute nicht daran denken"

Die Parade ist gerade auf der Omirou-Straße vorbeigezogen, an der alten Stadtmauer entlang weiter zum Parlament. Die Traditionsschulen sind aufmarschiert, in weißen Hemden und Handschuhen: die English School of Nicosia, die American Academy, die Falcon School, das Terra Sancta College mit dem roten Kreuz der Templer auf der Standarte. Die griechischen Schulen waren der letzte Hort des geistigen Widerstands während der Herrschaft der Osmanen auf Zypern.

Alles sieht normal aus. Aber natürlich ist nichts mehr normal in der kleinen Inselrepublik. "Wenigstens heute will ich nicht daran denken", sagt George, ein junger Software-Ingenieur, der auch die Parade verfolgt hat. Dabei ist die Krise nicht neu. "Seit zwei Jahren geht das schon so. Wir haben das gespürt", erklärt der junge Mann. Die Unternehmen, die weniger Aufträge bekamen; die Arbeitslosigkeit, die mit einem Mal um sich greift. Zwei von zehn Freunden hätten keinen Job mehr, sagt George. Immer noch ein erträglicher Schnitt, verglichen mit Griechenland oder Spanien. Doch dann kam diese Woche der akuten Finanzkrise, des unmittelbar drohenden Staatsbankrotts.

Montag um Mitternacht wäre das Ultimatum der EZB an Zypern ausgelaufen. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Europäische Zentralbank die Notkredite an die zypriotischen Banken gekappt und den Kollaps der Geldinstitute herbeigeführt hätte, einigten sich Zyperns Präsident und die Troika von EU, EZB und IWF auf ein Rettungspaket. Am nächsten Morgen ist Hochamt in der Faneromeni-Kirche in der Altstadt von Nikosia. Der Erzbischof hält die Messe, Chrysostomos II hätte nichts ge- gen einen Austritt aus der EU, so erklärte er noch am vergangenen Wochenende - vor der Nachtsitzung in Brüssel. Jetzt schweigt er.

Nicht schweigsam zeigte sich der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew. "Meiner Meinung nach geht der Diebstahl von dem, was bereits gestohlen wurde, weiter", kommentierte er den Deal. In den Tagen davor waren Verhandlungen zwischen Moskau und Nikosia über einen Rettungsbeitrag gescheitert. Nun zeigt sich Präsident Wladimir Putin wieder gesprächsbereit. Putin habe die Regierung angewiesen, die Bemühungen der Eurogruppe zu unterstützen, erklärte ein Sprecher. (Markus Bernath, DER STANDARD, 26.3.2013)