Verfassungsrichter prüfen ORF-Gesetz: Vizepräsidentin Brigitte Bierlein, Präsident Gerhart Holzinger. Der Verdacht: Das Social-Media-Verbot verletze Meinungs- und Rundfunkfreiheit.

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Der Verfassungsgerichtshof hat Bedenken, dass das Facebook-Verbot für den ORF verfassungswidrig sein könnte, verlautet vom Höchstgericht. Die 14 Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter hätten ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet. Konkret sei der Verfassungsgerichtshof der Ansicht, dass das ORF-Gesetz gegen das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verstoßen dürfte. Ob diese Bedenken des Verfassungsgerichtshofes tatsächlich zutreffen, wird das nun laufende Gesetzesprüfungsverfahren ergeben.

Entscheidung bis Herbst erwartet

Der Prüfentscheid verschafft dem ORF kräftigen Rückenwind, das Verbot womöglich vor einer Entscheidung des Höchsgerichtes per Novelle aufzuheben oder zu entschärfen. Der ORF drängt auf eine Novelle des ORF-Gesetzes noch vor der Wahl, damit die Republik ihm auch über 2013 hinaus die Gebührenbefreiungen abgilt. Politisches Kalkül könnte den ORF da aber auf nach der Nationalratswahl vertrösten - in der Hoffnung auf die Berichterstattung vor der Wahl.

Der Verfassungsgerichtshof könnte dem Gesetzgeber also wieder einmal zuvorkommen: Mit einer Entscheidung ist wohl bis Herbst zu rechnen, heißt es an der Freyung.

Das Wichtigste aus dem Beschluss

Wörtlich heißt es im Prüfbeschluss der Höchstrichter: "Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass die Regelung über das Verbot der Bereitstellung von sozialen Netzwerken sowie von Verlinkungen und Kooperationen mit diesen gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungs‐ und Rundfunkfreiheit verstößt."

Einschränkungen der Meinungs- und Rundfunkfreiheit erlaube die Menschenrechtskonvention nur in Ausnahmefällen: "im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind".

Das ORF-Gesetz verbiete dem Gebührenfunk, soziale Netzwerke selbst zu betreiben, zu verlinken oder sonstwie zu "kooperieren" - außer in der tagesaktuellen Überblicksberichterstattung. Damit verwehre es dem ORF, mit den Userinnen und Usern von sozialen Netzwerken zu kommunizieren - das verletze wohl das Grundrecht auf Meinungs- und Rundfunkfreiheit.

"Legitimes Ziel"...

Die Verfassungsgerichtshof "geht vorläufig davon aus, dass dieser Eingriff die beschwerdeführende Partei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs‐ und Rundfunkfreiheit verletzen dürfte. Die Regelung dürfte zwar – im Hinblick auf die Finanzierung des ORF durch Programmentgelt – offenbar dem Ziel, private Mitbewerber am Rundfunkmarkt zu schützen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, dienen und damit ein in Art. 10 Abs. 2 EMRK genanntes legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Rechte anderer, verfolgen. Auch dürfte dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten zu sein, wenn dieser die in Prüfung gezogene Regelung für geeignet erachtet, dieses Ziel zu erreichen, zumal die beschwerdeführende Partei in Österreich eine besondere Stellung im Wettbewerb mit privaten Rundfunkveranstaltern innehat."

...aber fraglich, ob "notwendig" und sinnvoll

"Fraglich ist aber, ob die in Prüfung gezogene Regelung notwendig zur Erreichung des Zwecks im Sinne des Artikels 10 Abs. 2 EMRK, private Mitbewerber am Rundfunkmarkt zu schützen, ist. Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig keine Gründe zu finden, die es rechtfertigen dürften, dem ORF jegliche Nutzung sozialer Netzwerke zu untersagen, zumal er im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Berichterstattung sogar ein soziales Netzwerk betreiben dürfte. 

"Schranken der Menschenrechtskonvention überschreitet"

Fazit der Höchstrichter aus der Begründung für den Prüfungsbeschluss: "Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogene Regelung die Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK überschreitet."

ORF über VfGH-Bedenken erfreut

"Wir lassen uns von Publikum und Zukunft nicht abschneiden", kommentierte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz am Dienstag die gute Nachricht aus dem Verfassungsgerichtshof auf Twitter. Dass der VfGH in einem ersten Schritt grundrechtliche Bedenken gegen das Facebook-Verbot habe, beurteile der ORF positiv, wie es in einer Stellungnahme hieß. Nun hoffe man freilich "auf einen entsprechenden Ausgang des Gesetzesprüfungsverfahrens".

Wrabetz äußerte sich in der Stellungnahme erfreut darüber, "dass wir bis zur endgültigen höchstgerichtlichen Klärung unsere bestehenden Facebook-Auftritte weiter betreiben dürfen".  (fid, derStandard.at, 26.3.2013/APA)