Katalogcover, entworfen von Duchamp und Donati.

Foto: VBK, Wien 2013/Rémy Duval

Wien - Lange Zeit konnte das Geheimnis um das fotografische Porträt Marcel Duchamp im Alter von 85 Jahren nicht gelüftet werden. Als der Wegbegleiter von Dada- und Surrealismus es 1945 publiziert, ist er erst 58 Jahre alt. Hatte er einen alten Mann auf Duchamp getrimmt oder sich kunstvoll in einen Greis verwandelt?

Duchamp-Experte Herbert Molderings sagt nun in seinem Ende April erscheinenden Buch, der Künstler habe den Fotoapparat als Zeitmaschine genutzt, ein Schluss, zu dem ihm ein jüngst entdecktes Skript aus der Wiener Friedrich-Kiesler-Stiftung verhalf. Darin beschreibt der Architekt detailliert die stundenlangen Vorbereitungen für diese Inszenierung von Duchamps Zukunftsblick.

Dass Kieslers Beziehung zu Duchamp sehr eng war, belegt nicht nur dieses Dokument, sondern auch die aktuelle Präsentation: Breton Duchamp Kiesler. Surreal Space 1947 heißt diese auf die Exposition Internationale du Surrealisme in der Pariser Galerie Maeght verweisende Schau, für die Kiesler einst das Raumkonzept entwickelte. Aus dem Exil zurückgekehrt, wollte André Breton der großen Surrealismusschau von 1938 und dem drohenden Auseinanderbrechen der Gruppe etwas entgegensetzen.

110 Künstler und Literaten beteiligten sich an der wie ein Gesamtkunstwerk zu lesenden Ausstellung, die bereits in einer straßenseitigen Vitrine schockierenden "Lockstoff" platziert hatte. Der Parcours durch die surrealistische Erfahrungswelt wurde als spiritueller Pfad angelegt, der einem Ariadnefaden folgte: ein architektonisches All-over-Konzept von Kiesler mit Höhlen und Ellipsenbändern, dem sich im Endeffekt die künstlerischen Arbeiten unterordnen mussten: Teils hingen sie über Kopf, waren nur durch Peep-Holes einsichtig oder - wie Max Ernsts Gemälde See der Angst - von einem teichartigen Bassin eingefasst.

Ein vitales Lebenszeichen, das man mittels fotografischer Dokumentation 1948 in New York zu zeigen plante. Von den meisten Fotos fehlte lange jede Spur; die Originalabzüge fanden sich jedoch vor einigen Jahren in der Kiesler-Stiftung, die diese nun präsentiert. Wertvolle Zeugnisse für die Surrealistenforschung, gilt doch vieles, was 1947 ausgestellt war, heute als verschollen.

Freilich ist die Ausstellung dieser Schwarz-Weiß-Fotos allein etwas spröde und hat wenig mit dem sinnlichen Erleben gemein, das den Surrealisten für die Kunstrezeption so entscheidend schien. Die Schau ist aber auch von der Hoffnung nach einer späteren Publikation der Bilder getragen.

Der taktilen Kunsterfahrung waren 1947 die 999 Exemplare des Katalogs geschuldet: Jeden Umschlag zierte eine handbemalte Schaumstoffbrust mit der Aufforderung: "Bitte berühren." (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 30./31.3./1.4.2013)