Im Frühjahr vor elf Jahren hatte man die naive Vorstellung, es ginge an die Abschiedsvorstellung Ferdinand Piëchs. Nun habe er ja alles erreicht und werde in allen Ehren als Chef des VW-Konzerns in Pension gehen. Die Art seines Abschieds hatte er sich selbst vorgelegt, um der Autowelt als Techniker, nicht als Schlachtenlenker in Erinnerung zu bleiben. Man weiß, das ist dann ein bissl anders gekommen. Der Zwischenabschied gelang allerdings ziemlich gut.

Nur kein Regen. Es soll bitte nicht regnen, hatte Piëch öfter gesagt, wenn er von der Rekordfahrt sprach. Erstens wegen des, im Technikersprech, "Schwallwiderstands" auf der Fahrbahn, zweitens wegen der schlechteren Verbrennung im Motor (bei Regen ist weniger Sauerstoff in der Luft) und drittens wegen der sensiblen Elektronik, man weiß ja nie. Dies ist doch ein sehr dünnhäutiges Auto.

Das Wetter war prachtvoll, bis zum Tag davor. Dann begann es zu regnen und hörte nimmer auf. Am Termin war nicht zu rütteln. Natürlich hat es Berechnungen und Testfahrten gegeben, aber das Ding war noch keinen Meter auf öffentlichen Straßen gefahren, man wusste nicht, wie sich der Verkehr auswirken würde, und jetzt kam das Wasser dazu.

Piëch hatte zwar Kappe, Schal, Mantel einkalkuliert, nicht aber Zehenwärmer.
Foto: jürgen skarwan
Irgendwie hatte sich die Sache aufgeschaukelt zu hoher Wichtigkeit. Die letzte Fahrt des Chefs, da gibt's keine Korrekturmöglichkeit, keinen zweiten Anlauf. Ein seltsames kleines Auto wird zum Symbol fürs ultimative Karriereziel. Im Lauf der Zeit war ihm das Ein-Liter-Auto wichtiger geworden als der andere Eckpunkt des Piëch'schen Weltbilds, wo der Bugatti wohnt mit seinen tausendundein PS.

Ursprünglich hätte es ja nach dem Drei-Liter-Lupo von 1999 auch ein Zwei-Liter-Auto geben sollen, aber der Prototyp wurde so sagenhaft hässlich, dass allen fröstelte. Er sah von vorn aus wie ein halbwegs normales viersitziges Auto und musste trotzdem zur Tropfenform finden, um auf die aerodynamische Vorgabe zu kommen. Die Folge waren ein lächerliches Heck und jämmerliche Proportionen.

Da war es schlauer, sich gleich zu einer Extremform zu bekennen, Tandemposition für zwei Sitze und totale Aerodynamik von vorn bis hinten. Dafür auch gleich die griffigste aller Verbrauchszahlen – so kam das Ein-Liter-Auto auf die Welt.

Damit sind wir wieder beim Pinguin gelandet. Ich hab ein Interview von 1987 ausgegraben, das ich für den Playboy führte, der damals ja vergleichsweise ein Intellektuellenmagazin war. Piëch war noch Technik-Vorstand von Audi, zum ersten Mal sprach er über Niedrigstverbrauch, aber auch schon von cw-Wert 0,1 – und dem Pinguin: "Man kann aufgrund der Muskelkraft und des Wirkungsgrades ausrechnen, wie gut der Pinguin in der Strömung liegt – seine Schnelligkeit kennt man ja. Vom Pinguin lässt sich ableiten, was die Evolution in der Natur schon geleistet hat. Das müssen wir halt ein bisschen schneller nachvollziehen."

Faszinierend ist das ultimative Rezept für Windschlüpfrigkeit, abgeschaut beim Pinguin.
Foto: jürgen skarwan

Pinguin-Prinzip heißt, dank idealer Strömungsverhältnisse mit niedrigster Energie auszukommen. Kleines Herz, kleiner Motor. An Land verschlechtern Roll- und Reibungswiderstände die Rechnung, daher wird das Gewicht entscheidend. Im konkreten Fall: 8,5 PS aus einem 300-ccm-Einzylinder müssen ausreichen, ein 279 Kilo schweres Fahrzeug bei cw-Wert 0,16 bis zu Höchstgeschwindigkeit 120 km/h zu bringen.

Der Rekord, das Auto, der Job, die Zukunft

1999 hatte die Forschungsabteilung mit dem Job begonnen, probierte die verschiedensten Formen, Motoren und Werkstoffe: Management by Tüftelei. Deadline war der 16. April 2002, der Tag von Piëchs Amtsübergabe an Pischetsrieder bei der VW-Hauptversammlung in Hamburg. Mit seinem Gespür für nützliche Anwendungen hatte Piëch beschlossen, die 230 km zwischen Wolfsburg und Hamburg als Beweisfahrt zu nutzen und dann alles an Pischetsrieder zu übergeben, den Rekord, das Auto, das Symbol, den Job, die Zukunft.

"Rekord" ist nicht wörtlich zu nehmen, da ist nur gemeint: Verbrauch unter ein Liter / 100 km. Alternative "grüne" Fahrzeuge lassen sich noch sparsamer auslegen. Hier aber waren die Vorgaben eines Serienautos eingearbeitet, von vernünftiger Straßenlage bis Elchtest, TÜV, Crash-Normen, ABS und ESP.

Piëch wollte in Hamburg mit vollendeten Tatsachen antreten und die Publicity-Show dann erst gemeinsam mit Pischetsrieder abziehen, daher sollte die Fahrt selbst geheim stattfinden – so geheim sich halt ein solches Auto mit einem Tross der Konzernforschung am Sonntagvormittag über Deutschlands Autobahnen bewegen lässt. Ziel sollte das "Vier Jahreszeiten"-Hotel in Hamburg sein. In den Begleitfahrzeugen waren nur VW-Leute – und zwei neutrale Beobachter, das waren eben Jürgen und ich. Ich hab auch unbestechlich die Messgläser abgelesen und halte fest: Abfahrt mit vollem Tank, das sind sechseinhalb Liter Diesel.

Ferrari-Schuhe, braun mit roten Nähten

Vorerst sind wir aber zu früh auf dem Werksgelände. Piëch überspielt seine Enttäuschung über den Regen. Sagt auch, dass er nicht nervös ist, glaub ich aber nicht. Er soll nicht im Regen stehen, das würde seinen Hammerln nicht guttun. Als schlauer Sportsmann hat er noch tags zuvor in Salzburg Ferrari-Schuhe gekauft, um maßvolle 210 Euro, braun mit roten Nähten, mit diesen kompetenten Noppen an der Ferse, federleicht. Es kommt ja auf jeden Deka an.

Zuerst rollt der Alu-Prototyp heran, nur zur Vollständigkeit der Dokumentation. Er ist um hundert Kilo schwerer als der Magnesium/Carbon-Wagen und daher für diesen Tag mega-out. Immerhin wird er nach Hamburg verladen, für die Show.

VW-Mannschaft, Carbon- und Aluprototyp.
Foto: jürgen skarwan

Jetzt der Echte. Er sieht gleich mal besser aus als auf den Fantasieskizzen im Vorfeld. Ein bisschen "Spirit of Rosemeyer", aber nicht in dieser kriegerischen Dimension. Die seinerzeitigen Geschwindigkeitsweltrekordwagen waren ja fast doppelt so lang. Das Zierliche wirkt hier recht gut, trotz dieser uuhh-uuhh Kohlensackfarbe. Die ist original, wie eben Carbonfaserteile aus dem Ofen kommen (übrigens in Salzburg, bei der Firma Carbon Tech Composites). Wegen der porösen Oberfläche würde da ein Kilo Lack versickern, so viel Gewicht gaben die Techniker nicht her. Die Kohlefaser gleich im Ofen einzufärben wäre ihnen geschmäcklerisch vorgekommen. Dies ist die Farbe der Technik, basta, da können die PR-Leute kopfstehen.

Carbonfaser ist im Fahrtwind nicht wärmend.
Foto: jürgen skarwan

Es ist saukalt, und die Heizung des Einliters ist lahmgelegt, kostet Sprit. Der Chef wird frieren, sagen die Forschungsleute. Das Motorgeräusch ist witzig. Ich sage: Der Motor pumpert ordentlich, Piëch weiß es besser: Das ist kein Pumpern, sondern die typische Ansaug- und Abgasdynamik des Einzylinders (er ist ja inzwischen auch zum Ehrenprofessor der TU Wien geschlagen worden).

Es regnet stark, der Verkehr ist dick, und die Telemetrie repetiert schlechte News: fortlaufend 1,3 l / 100 km auf dem ersten Teilstück. Wasser auf der Fahrbahn, ein paar Steigungen und Abbremsen wegen des Verkehrs führen dazu, dass die Automatik den sechsten Gang selten annimmt, damit findet der Wagen nicht in diesen langen, geruhsamen Schwung, der's wirklich bringt. Wegen der Kälte kommt der Motor auch kaum über 90 Grad. Kein idealer Wirkungsgrad, immerhin bleiben die Naca-Düsen (Kühlluft von den Flanken) geschlossen, das hilft dem cw-Wert.

Wir sind längst nicht mehr allein. Spätestens am Hannover-Kreuz hat die Bild-Zeitung aufgeschlossen, Kameras auf Autobahnbrücken, neue Interessenten von links und rechts. Piëch kann die Gischt und die Turbulenzen nicht so gut brauchen, aber das ist natürlich öffentliches Terrain. Die Polizei hat sich das Gedränge erst diskret angesehen, dann rückt sie sich ins Blickfeld, noch immer ganz entspannt. Die Manieren der Straßenkameraden werden besser.

Piëch bei seinem heftigsten Gefühlsausbruch, an den sich Zeitgenossen erinnern.
Foto: jürgen skarwan

Hinter Hannover wird der Telemetrie-Moderator immer fröhlicher. Der Regen ist schwächer, der Wagen swingt im hohen Gang, idealerweise mit Tempo 85, segelt auch manchmal ohne Motor. Die Werte sind jetzt beständig unter einem Liter, das Anfangsmanko ist bis zur halben Strecke wettgemacht. Auffällig, wie oft die Telemetrie die elektrischen Daten checkt. Batterie und Generator werden durch Schlankheit besonders sensibel, scheint es. Es ist aber alles im grünen Bereich.

Geplanter Stopp nach gut zwei Stunden an einer Autobahnrast, falls es was zu fummeln gäbe. Gibt aber nichts. Piëch ist gut drauf, und er ist ganz tapfer beim Frieren. Ganz vorn im Cockpit ist es eisig, und die Ferrari-Hammerln sind ja wirklich hauchzart.

Die einzige größere Steigung, aus Sicht der Norddeutschen, steht bevor, die Telemetrie ist ganz aufgeregt. Der Speed fällt unter 70, Motor geht auf 105 Grad, die Naca-Düsen öffnen kurz, Verbrauch kurzfristig 1,4 l /100 km. Damit ist die Erregung aber schon wieder vorüber. Sehr beschwingt, muss man sagen, cruisen wir nach Hamburg hinein. Eigentlich unnötig, dass er sich hier den vollen Verkehr antut, aber Piëch wollte eben die Demonstration vom volltauglichen Ein-Liter-Auto.

Nachteil des Konzepts: Die Zehen erfrieren

Vorfahrt beim "Vier Jahreszeiten". Piëch wird sehr schnell die Zehen ins heiße Bad stecken, die Techniker litern inzwischen den Tank aus. Ich kann's bestätigen: Es fehlten 2,1 Liter, und die Wegstrecke war 237 km. Ergibt einen Verbrauch von 0,886 l / 100 km. Durchschnittsgeschwindigkeit 71,4 km/h. Das Team jubelt, Piëch kehrt zurück mit warmen Zehen, grinsend, ganz easy.

Der Job ist getan. Nach neunundzwanzigeinhalb Jahren bei Audi und VW ist morgen sein letzter Tag. Er wird im Rekordauto gemeinsam mit seinem Nachfolger vom "Vier Jahreszeiten" zum Pressetermin vor der Hauptversammlung fahren. Alles klar.

Spartanisch, aber keine Kabinenrollermentalität. Alle Sicherheitsstandards inklusive.
Foto: jürgen skarwan

Oder war da noch was? Nächster Tag, Unruhe an der Rampe. Der Wagen kommt nicht, kommt nicht. Wassnlos? Isswas? Ach, wird beruhigt, der Hamburger Verkehr, der Stau, man kennt das ja. Halbe Stunde, Dreiviertelstunde. Am "Vier Jahreszeiten" haben sie schon das Ersatzauto in Stellung gebracht, das Alu-Gerät. Wär aber irgendwie blöd. Schmeißt bloß die Nerven nicht weg, sagen die zwei Bosse vorm Hotel. Nehmt euch Zeit. Der Rekordwagen hängt an der Analyse. Drei Kilometer weiter, drüben an der Rampe vor der Hauptversammlung, werden Getränke und Häppchen gereicht. Die Fabel vom Stau wird immer komischer.

Nach der Zieleinfahrt in Hamburg: Piëch, Völker.
Foto: jürgen skarwan

Plötzlich geht alles ganz fix, der "Stau" löst sich auf, der Einliter biegt um die Ecke, vorn Piëch, am Hintersitz Pischetsrieder. Es wird geknipst und gefilmt auf Teufel komm raus, Interviews und Laudationes, alle sind happy. So wunderbar flutscht die alte in die neue Zeit.

Und wenn die doofe Stecker-Platine gestern gestreikt hätte? Piëch: "Ein bissl Glück im Leben darf der Mensch doch auch haben, net wahr?"

Wir wissen, was nachher passierte: Pension, mitnichten. Piëch wurde Chef des Aufsichtsrats und lenkte die Dinge vom Hochsitz aus. Der Techniker hatte sich verabschiedet, der Stratege fand ein weites Feld, das er so mächtig umpflügte, dass sich bald keiner mehr erinnern wird, dass Rennwagen, Alu, TDI und quattro die eigentlichen Marksteine seiner Karriere waren. Und das Auto, das 0,886 Liter auf hundert Kilometern verbrauchte. (Herbert Völker, Fotos: Jürgen Skarwan, Rondo, DER STANDARD, 6.4.2013)