Die kommunalisierten Socken blieben ungewaschen.

Foto: apn/Kaestle

Haifa - Ich bin schon jahrelang Mitglied einer sozialistischen Jugendbewegung, habe unzählige Abende mit Gleichgesinnten über Politik debattiert - und dennoch brauchte es eine Kommune von 15 jungen Leuten, denen allesamt die frischen Socken ausgehen, um mir die Schwierigkeiten gelebten Sozialismus vor Augen zu führen.

Im Korridor unseres gemeinsamen Wohnhauses stehen genau zwei Schachteln. Die eine - beschriftet mit "dirty ass socks" - ist randvoll gefüllt mit schmutzigen Socken und wird dementsprechend von einer Wolke unangenehmer Gerüche umhüllt. Die andere Schachtel haben wir mit dem Symbol des Kommunismus dekoriert, wobei wir den Hammer neben der Sichel durch einen Socken ersetzt haben. Sie ist hingegen vollkommen leer. Wieso? Weil niemand in meinem Haus unsere kommunalen Socken waschen will.

Anarchistischer Sockenkrieg

Seit September letzten Jahres bin ich im Rahmen einer jüdisch-sozialistischen Jugendorganisation mit anderen Gleichaltrigen auf Auslandsjahr in Israel. Momentan leben wir in Haifa, der drittgrößten Stadt des Landes, um dort zu arbeiten und Hebräisch zu lernen. Und obwohl meiner Generation nachgesagt wird, wir seien konsumsüchtig, verwöhnt und egoistisch, wohnen wir gemeinsam in einer Kommune, in der wir mit einer gemeinsamen Kasse haushalten. Ob Spaghetti, Toilettenpapier oder gemeinsame Ausflüge: Jeder kommt in unserer Wohngemeinschaft für alle Kosten gleichermaßen auf.

Nur mit unseren Socken gingen wir eher anarchistisch um: Schon nach ein paar Monaten in Israel, während deren wir mehrere Male umzogen und teils recht chaotisch hausten, hatten die meisten aus der Gruppe bereits etliche Socken verloren.

Zu diesem Zeitpunkt begann das wilde Durcheinander: Einige Leute hatten sich neue Socken gekauft, von denen die meisten jedoch schon kurz darauf gestohlen wurden. Als Reaktion versuchten einige, ihre neuen Socken zu verstecken - ein Ding der Unmöglichkeit in einer kleinen Kommune. Am gefährlichsten war die Zeitspanne, in der die frisch gewaschenen Socken am Wäscheständer hingen: Noch bevor sie trocken waren, hatte sich die Anzahl der Socken halbiert.

Socken kommunalisieren

In unserer Gruppe breitete sich schon bald Misstrauen untereinander aus. Jeder legte sich auf die Lauer, um den Sockendieb zu entlarven. Die Situation wurde schließlich so absurd, dass wir uns alle einig waren, dass eine Lösung für den Sockenfrieden ausgehandelt werden müsse.

Bei den Diskussionen bildeten sich sofort zwei Lager. Die "Sockensozialisten" schlugen vor, alle Socken zu kommunalisieren. Sie argumentierten, dass wir durch den gemeinschaftlichen Besitz unseren Konsum reduzieren würden und die Sockenarmut wenigstens untereinander gleich aufteilen könnten. Die Sockenkapitalisten gingen auf die Barrikaden. Es waren dieselben Mitbewohner, deren neue Socken gestohlen wurden. Nun wollten sie diese zurückhaben - ohne den Besitz gemeinschaftlich zu teilen. Sie wären ja sonst die Verlierer im sozialistischen Sockensystem.

Es folgten unzählige Diskussionen, bis sich schließlich die Sockensozialisten durchsetzten und die zwei Schachteln auf dem Gang aufstellten. Jeder warf von nun an seine Socken in die Schachtel und der Krieg hatte ein Ende. Dass das System anfangs gut funktionierte, machte jeden von uns stolz auf unseren Idealismus, auch die einstigen Gegner der Idee.

Längst ist unser Kommunenfrieden jedoch gefährdet, weil sich niemand für das Waschen zuständig fühlt und wir mittlerweile keine Socken mehr haben, die nicht löchrig, ranzig oder schmutzig sind. Unsere Sockenpolitik muss eindeutig reformiert werden. Ehe wir uns auf einen Waschplan einigen, wird das Haus zwar weiterhin nach Stinkefüßen riechen, doch wenigstens sind wir alle gemeinsam davon betroffen. (Isabel Frey, DER STANDARD, 10.4.2013)