Mit eigens entwickelten Apparaturen werden hochalpine Pflanzen wie die Schwarze Krähenbeere bei natürlichem Sonnenlicht auf ihre Hitzeresistenz hin untersucht. Die untersuchten Pflanzen halten offenbar mehr aus als anfangs gedacht.

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Das Leben im Gebirge wird vor allem durch die Faktoren Klima und Wetter geprägt. Besonders der Winter stellt eine Herausforderung dar: Zum Schutz gegen lang andauernde Minustemperaturen haben viele alpine Pflanzen wärmesammelnde Wuchsformen wie Rosetten oder Pölster entwickelt. Der Nachteil: An klaren und windstillen Sommertagen können diese Strukturen zu regelrechten Hitzefallen werden - ein Umstand, der im Zuge der Klimaerwärmung zunehmend an Bedeutung gewinnen könnte. Forscher der Universität Innsbruck haben nun im Rahmen eines FWF-Projekts untersucht, wie viel Hitze alpine Pflanzen tatsächlich aushalten und ab wann sie irreversibel geschädigt werden.

Auch wenn der diesjährige Winter wenig Anlass gab, an den Klimawandel zu glauben, sprechen die Zahlen für sich: Weltweit stieg die Durchschnittstemperatur im Laufe des 20. Jahrhunderts um 0,7 Grad Celsius an, im Alpenraum sogar um das Doppelte. Verschiedene Prognosen rechnen bis 2100 mit einem Anstieg um 1,4 bis 5,8 Grad. Mancherorts zeigen sich schon Folgen: So stellte der Alpenverein in seinem aktuellen " Gletscherbericht 2011/2012" fest, dass von den 95 gemessenen Gletschern 98 Prozent zurückgeschmolzen seien. Einen besonders großen Rückgang konnte auf der Pasterze in der Glocknergruppe festgestellt werden. Dort bildete sich der Gletscher um 97,3 Meter zurück. Zudem ergab eine Untersuchung von 26 österreichischen und Schweizer Gipfeln schon 1990 eine deutliche Veränderung der Artenzusammensetzung, weil viele Pflanzen sich im Zuge des Temperaturanstiegs nun höher ansiedeln können.

Realistische Bedingungen

Um aussagekräftige Prognosen über den weiteren Verlauf dieser Entwicklung erstellen zu können, braucht es vor allem eines: zuverlässige Basisdaten über die Hitzetoleranz von Pflanzen. Messungen dazu erfolgten bisher aber nur unter recht unrealistischen Bedingungen im Labor. Nun haben Othmar Buchner vom Institut für Botanik der Universität Innsbruck und seine Mitarbeiter mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds ein eigenes System entwickelt, das es erstmals erlaubt, entsprechende Untersuchungen direkt am jeweiligen Standort durchzuführen.

"Für einen klassischen Hitzetoleranztest werden Pflanzenteile abgeschnitten, in Plastiksäckchen gepackt und dann im Labor in einem Wasserbad auf die gewünschte Temperatur erhitzt. Anschließend werden die entstanden Schäden quantifiziert", erklärt Buchner. "Das passiert unter Schwachlicht oder in Dunkelheit, aber im Gebirge tritt Hitze stets mit starker Sonneneinstrahlung auf, und wir wollten wissen, wie sich die Sonnenstrahlung auf die Hitzeresistenz auswirkt."

Pflanzen künstlich einheizen

Zu diesem Zweck bauten Buchner und sein Team ein Gerät, das auf den wenig klingenden Namen "Heat Tolerance Test System", hört, kurz HTTS. Es besteht im Wesentlichen aus einer Basiseinheit, acht Plexiglaskammern, die mit Heizung, Befeuchter und Temperaturfühlern ausgestattet sind, und einem Laptop mit entsprechender Software. In die Kammern können die zu untersuchenden Pflanzen eingebracht werden, ohne sie ausgraben, abschneiden oder sonst wie schädigen zu müssen. Es kann beliebiger Hitzestress unter natürlicher Sonnenstrahlung induziert werden. Unter diesen Umständen lassen sich nun auch Reparaturmechanismen untersuchen, mit denen Pflanzen Hitzeschäden ausgleichen können - was auch für Nutzpflanzen interessant sein könnte.

Die ersten Ergebnisse, die das HTTS brachte, überraschten: Wie sich mit dem neuen Gerät feststellen ließ, bewirkt die auf dem Berg oft gnadenlos scheinende Sonne nämlich nicht zwangsläufig eine Verschärfung der Hitzeproblematik - im Gegenteil: Blätter der Rauschbeere etwa zeigten im Laborwasserbad bei "nur" 45,8 Grad Celsius eine 50-prozentige Schädigung, während dies unter Sonneneinstrahlung an ihrem natürlichen Standplatz erst bei 48,3 Grad eintrat.

Warum Blätter unter Sonnenlicht höhere Temperaturen tolerieren können, wissen die Forscher noch nicht. Buchner vermutet jedoch unter anderem, dass das Licht biochemische Prozesse begünstigt, die jene Zellorganellen, die für die Fotosynthese zuständig sind, stabilisieren und so die Hitzetoleranz erhöhen.

Potenzial zur Abhärtung

Im vergangenen Sommer konnte Buchners Gruppe nachweisen, dass alpine Zwergsträucher wie die Rauschbeere auf einer Höhe von 2000 Metern im Schnitt mindestens einmal pro Woche ein Tagesmaximum von über 40 Grad Celsius aushalten müssen. Im Laufe des Sommers wurden Blatt-Temperaturen von bis zu 47 Grad gemessen, nach einer Reihe sonniger Tage auf 2600 Metern Seehöhe gar 57 Grad Celsius.

Völlig schutzlos sind Pflanzen hohen Temperaturen gegenüber offenbar nicht: "Neben der Fähigkeit zur Transpirationskühlung verfügen sie auch über ein gewisses Potenzial zur Hitzeabhärtung", sagt Buchner, "so werden etwa Biomembranen entsprechend adaptiert und Hitzeschockproteine erzeugt, die die Zellen hohen Temperaturen gegenüber widerstandsfähiger machen."

Schon bei vergleichsweise geringer Hitze kann es jedoch zu einer Beeinträchtigung der Fotosynthese kommen, was sich negativ auf Wachstum und Fortpflanzung auswirken kann. Das ist im Gebirge gravierender als im Tal, denn Pflanzen in höheren Lagen haben meist eine kürzere Vegetationsperiode. Eine gute Nachricht haben die Untersuchungen allerdings ergeben, meint Pflanzenphysiologe Buchner: "Die bisher untersuchten Pflanzen halten wahrscheinlich mehr aus, als wir bisher geglaubt haben." (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 17.04.2013)