Ben Marzeion simuliert das Klima von morgen.

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Schon früh stand für Ben Marzeion fest, dass er Physik wissenschaftlich betreiben will. Den Forschungsgegenstand wollte er aber - im Gegensatz zu Quanten, Bosonen oder Quarks - sehen und angreifen können. Also fiel seine Wahl auf das Fach Ozeanografie (Physik des Meeres) an der Uni Kiel - wo dann auch seine Liebe hinfiel.

Für das Doktorat wechselte der 35-jährige gebürtige Deutsche mit seiner Frau nach Bergen (Norwegen), verbrachte danach weitere zwei Jahre als Postdoc am Nansen Environmental and Remote Sensing Center und am Bjerknes Centre for Climate Research, bevor er als Research Fellow zum Department of Earth, Atmospheric and Planetary Sciences an das MIT in Cambridge (USA) ging.

Des Meeres und der Liebe Wellen führten ihn 2008 schließlich an die Uni Innsbruck, wo ein Klimamodellierer gesucht wurde. Er kniete sich in das Thema Kryosphäre - das ist die Oberfläche der Erde, die von Eis bedeckt ist - hinein. Da das Schmelzen der Gletscher mit dem Steigen des Meeresspiegels zusammenhängt, fand er auch in den Alpen seinen Zugang zum Ozean. "An der Schnittstelle von Ozeanografie und Glaziologie kann ich sehr produktiv arbeiten", sagt der Assistant Professor am Institut für Meteorologie.

Bis 2016 will er mit seinem Team im vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt "Rekonstruktion und Projektionen der globalen Gletscheränderung von 1850-2300" die modellierte Rück- und Vorschau auf das Verhalten vergletscherter Flächen verbessern. So sollen auch gekoppelte Effekte darstellbar werden: Etwa wenn schmelzende Gletscher in Spitzbergen so viel Süßwasser in den Nordatlantik bringen, dass sich die Ozeanzirkulation ändert, was wiederum die Atmosphäre beeinflusst.

Österreich tut sich seiner Ansicht nach "nicht mit überbordendem Interesse am Klimawandel hervor - obwohl sich die Landschaft der Alpen erheblich verändern wird und das schon mit bloßem Auge sichtbar ist". Als Wissenschafter sieht es Ben Marzeion als seine Aufgabe, anschauliche Erklärungen zu liefern: "Es sollte klar sein, dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist." Seine Webseite bietet deshalb neben einem Profil und seinen Papers auch Simulationen, die Antworten geben auf Fragen wie: Wo muss ich heute hinziehen, um das Klima von morgen zu erleben?

Sein Geburtsort Geldern ist von der Nordsee genauso weit weg wie die Adria von Innsbruck. Eine Leidenschaft für die Seefahrt wurde ihm dennoch in die Wiege gelegt - durch seinen Vater, einen Schiffbauingenieur und Lehrer an einer Berufsschule für Binnenschifffahrt. So fuhr Marzeion schon mit 15 Jahren auf historischen Großseglern.

Von seiner Zeit auf Forschungsschiffen (2000 bis 2002) hat er jedenfalls viele Geschichten mitgebracht, die er einmal seinen Enkeln erzählen will: Sie handeln von schiffbrüchigen Franzosen, von einem verlorengegangenen Kapitän und karibischen Hafenkneipen mit Kaninchen auf dem Tresen. In Innsbruck hat er sich in der Gemeinschaft der Gletscherforscher gut eingelebt. Berge sind ihm aus Norwegen vertraut, und ohne Meer regnet es schließlich auch viel weniger. Freizeit ist mit einem 20 Monate alten Sohn ein sehr knappes Gut. Mehr davon würde er gern wieder in der Natur mit seiner Kamera verbringen. (Astrid Kuffner, DER STANDARD, 17.04.2013)