Der Kren ist längst als heilsame Wurzel bekannt. Er enthält auch ein Enzym, das unter anderem in der Krebsbehandlung zum Einsatz kommt.

Foto: STANDARD/Cremer

Die Möglichkeiten scheinen manchmal unbegrenzt zu sein. Ob zur Herstellung von medizinischen Präparaten, Nahrungsmittelzusätzen oder chemischen Reagenzien: Mikroorganismen spielen in immer mehr industriellen Prozessen die Hauptrolle. Die Kleinstlebewesen können eine riesige Palette unterschiedlicher Substanzen produzieren, vor allem dann, wenn sie zuvor genetisch modifiziert wurden. In der sogenannten Roten Biotechnologie stellt man mithilfe von derart veränderten Bakterien, Hefen oder Tierzellen sogar menschliche Hormone und Antikörper her. Für die Medizin ist das ein enormer Fortschritt.

Doch es funktioniert nicht immer alles so wie gewünscht. Was im Labor nach jahrelanger Forschung klappt, ist häufig nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten im großen Maßstab umsetzbar. Im Reagenzglas herrschen eben andere Bedingungen als in den Gärtanks der Industrie. Was oft fehlt, sind detaillierte Kenntnisse über den entsprechenden Prozessablauf und die Reaktion der Zellen auf wechselhafte Bedingungen. Dadurch lässt sich vieles noch nicht präzis steuern, erklärt der Bioverfahrenstechniker Christoph Herwig von der Technischen Universität Wien. "Das einfache Wie reicht nicht, man muss nach dem Warum fragen."

Genau diese Lücken versuchen Herwig und sein Forscherteam zu füllen. Die Spezialisten untersuchen dabei vor allem neue Möglichkeiten, den Stoffwechsel von Mikroorganismen durch Faktoren wie Temperatur, Nährstoffzufuhr und Sauerstoffkonzentration in die gewünschten Bahnen zu lenken. Die genetische Manipulation hat auch nur ein begrenztes biotechnologisches Potenzial, betont Herwig. Zwar sei es auf dem Papier möglich, eine Vielzahl an physiologischen Prozessen durch veränderte Gene zu beeinflussen, aber die Natur kann solche Eingriffe mitunter umgehen. "Wir lassen die Zelle deshalb weitgehend so, wie sie ist, und versuchen, sie von außen zu steuern."

Um die biotechnologischen Verfahren präzis regeln zu können, brauchen die Wissenschafter zunächst Detailwissen. Es kommt darauf an, das, was die Zelle tut, genau zu quantifizieren. Welche Mengen Substrate verbraucht sie über welchen Zeitraum, und wie viel produziert sie dabei? Ist dies einmal bekannt, kann zum Beispiel die Fütterung der Mikroorganismen exakt dosiert werden. "Egal, ob das für fünf oder fünf Millionen Zellen ist", sagt Christoph Herwig. Die Skalierbarkeit ist entscheidend.

Zellentwicklung in Echtzeit

Selbstverständlich sind dazu auch noch weitere Daten erforderlich, erläutert der Fachmann. "Allein schon zu bestimmen, wie viel Biomasse im Reaktor ist, ist nicht trivial." Dazu entwickeln die Wiener Forscher neue, indirekte Messmethoden, bei denen zum Beispiel über die Menge an freigesetztem Abgas, also CO2, die Zellzahl berechnet wird. Online und in Echtzeit.

Die Weiterentwicklung seiner methodischen Ansätze wird Christoph Herwig in den kommenden sieben Jahren als Leiter des neu gegründeten, vom Wirtschaftsministerium kofinanzierten "Christian-Doppler-Labor für mechanistische und physiologische Methoden für leistungsfähigere Bioprozesse" fortsetzen.

Das wirtschaftliche Potenzial ist beachtlich. Das Prinzip der dynamischen Prozesssteuerung ermöglicht erhebliche Qualitätsverbesserungen, eine voraussagbare Maßstabvergrößerung und höhere Erträge. "Und das bei verkürzter Prozessentwicklungszeit", sagt Herwig. "Wir wenden das auf ganz unterschiedliche Produkte an."

Eines der Forschungsgebiete von Herwigs Arbeitsgruppe betrifft die Synthese eines besonderen Enzyms. In der Natur findet man es in der Wurzel von Armoracia rusticana, auch als Kren bekannt. Die sogenannte Peroxidase von Kren (HRP) - ein Enzym, das bestimmte Reaktionen katalysiert - ist ein überaus vielseitiger Wirkstoff. Sie ist in der Lage, mithilfe von Wasserstoffperoxid zahlreiche organische Substanzen zu oxidieren, was vor allem in der Spezialchemie von Nutzen ist. Abgesehen davon wird HRP auch medizinisch eingesetzt, unter anderem zur Krebsbehandlung. Eine Kombination aus HRP und dem Pflanzenhormon Indol-3- Essigsäure kann Tumorzellen gezielt in die Apoptose, den vorprogrammierten Zelltod, treiben.

Die industrielle Produktion von Kren-Peroxidase ist bisher eine kostspielige Angelegenheit. Das Enzym muss mühsam aus den Wurzeln der Pflanzen extrahiert werden. Die dazu erforderlichen Filtersysteme sind teuer und die Ausbeuten gering - nur um die 100 Milligramm HRP aus einem Kilo Wurzelmasse.

Hefe produziert Krenenzym

Um eine preisgünstige Herstellung des Wirkstoff zu ermöglichen, haben die Forscher um Herwig das HRP-Gen in Hefepilzen der Art Pichia pastoris eingeschleust. Die Zellen produzieren nun das Enzym und geben es an das Medium, in dem sie schwimmen, ab. Die Brühe wird anschließend gefiltert und das HRP gereinigt. Das Verfahren ist noch in der Testphase, erklärt Herwig. Doch die Perspektiven seien gut, und die Nachfrage wachse weiter.

Die Hefe eignet sich besser zur Enzymsynthese in industriellem Maßstab als die im Labor so oft verwendeten Kolibakterien, betont Herwig. "Die Hefe hat den Vorteil, dass sie in sehr hohen Zelldichten wachsen kann und einen sehr einfachen Stoffwechsel hat." Letzteres bedeutet: Es fallen kaum Nebenprodukte an. Zur dynamischen Steuerung des Produktionsprozesses haben die Forscher eine spezielle Fütterungsstrategie entwickelt. P. pastoris braucht eigentlich nur Methanol als Kohlenstoffquelle. Gibt man den Zellen jedoch getrennt dosiertes Methanol und Glycerol, lässt sich die Enzymproduktion steigern.

Das CD-Labor-Team wird sich in den kommenden Jahren auch der Optimierung weiterer biotechnischer Verfahren widmen, darunter der Herstellung von Penicillin durch Schimmelpilze oder der Produktion von Antikörpern in Zellen aus den Eierstöcken chinesischer Hamster. Sogar im Bereich erneuerbarer Energien lassen sich die Methoden einsetzen - zur Umwandlung von Windenergie über Wasserstoff in künstliches Erdgas. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 24.04.2013)