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Der Konflikt um die Kollektivvertrags-Einstufung schwelt schon einige Zeit zwischen Ströck und Gewerkschaften. Für neue Bröseln könnten die vorherrschenden Arbeitsbedingungen sorgen.

Es gärt. Denn einiges kann man sich bei Bäcker Ströck mitunter nicht aussuchen. Den Gang zum Zahnarzt bei akuten Schmerzen beispielsweise oder auch den auf die Toilette.

Der Konflikt um die Kollektivvertrags-Einstufung ist längst noch nicht ausgetragen, da kommen immer mehr Details zu den Arbeitsbedingungen der rund 1.800 Ströck-Mitarbeiter ans Licht. Im Gespräch mit derStandard.at lassen Mitarbeiter ihrem Unmut freien Lauf. Ihre Namen (der Redaktion bekannt) wollen sie nicht genannt wissen, zu groß ist die Furcht vor dem Jobverlust. Am Montagabend nahm schließlich auch Michael Ströck zu den Vorwürfen Stellung, nachdem Geschäftsführer Gerhard Ströck im Vorfeld zu keiner Stellungnahme bereit war.

Gehalt knapp über Mindestlohn

Monatlich 1.070 Euro netto für 40 Stunden pro Woche würden Ströck-Beschäftigte im Verkauf verdienen. Ein Gehalt, nur wenig über dem gesetzlichen Mindestlohn. "Wenn ich nebenbei nicht noch arbeiten gehen würde, könnte ich mir meinen Lebensunterhalt nicht leisten", sagt eine Mitarbeiterin. Nebenbei, das bedeutet abends nach Dienstschluss.

Mit der Entlohnung nach dem Gewerbe-Kollektivvertrag sind die Verkaufs-Angestellten - hauptsächlich Frauen, darunter viele Alleinerzieherinnen - monetär deutlich schlechter gestellt als im Großbäcker-Kollektivvertrag. Einstiegsgehälter und Lehrlingsentschädigungen sowie Zuschläge sind geringer. Doch Ströck hält sich nicht für einen Industriebetrieb.

Für die Produktionsgewerkschaft (Pro-Ge) und die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp) ist das ein unhaltbarer Zustand. Das Argument der Ströck-Inhaber, dass rund ein Drittel der Beschäftigten durch einen KV-Umstieg gefährdet sei, weist Alois Bachmeier, stellvertretender Regionalgeschäftsführer der GPA-djp, im Gespräch mit derStandard.at aufs Schärfste zurück: "Anker kann sich das leisten, warum nicht Ströck? Steigende Energie- und Rohstoffpreise werden von den Bäckern ohne Weiteres auf die Kunden übergewälzt. Ich bin mir sicher, dass diese auch bereit wären, ein paar Cent mehr für bessere Arbeitsbedingungen der Beschäftigten bei Ströck zu zahlen."

Was das Besondere bei Ströck sei? Gelächter. "Der war gut", sagt eine Mitarbeiterin. Ströck selbst unterstrich im Februar im derStandard.at-Chat, dass es Prämienmodelle gebe. "Wir hätten nur gerne gewusst, welche", fragt eine andere Mitarbeiterin und spielt zugleich auf das Semmerl an, das sie als Ströck-Mitarbeiterin um neun Cent billiger bekommt: "Beim Lidl ist's günstiger."

Mit dem "bisschen" Gehalt hätten die Beschäftigten Taxikosten und Parkscheine aus eigener Tasche zu zahlen, wenn ihr Dienst um 4 Uhr morgens beginnt. Auch Hose und Schuhe bezahlt das Verkaufspersonal aus eigener Tasche. T-Shirt, Schürze und Kapperl stellt die Firma zur Verfügung. Aber: Seien diese abgenützt und beschädigt, müsse der Mitarbeiter für den Ersatz aufkommen. Ein Umstand, der Alexander Tomanek, Arbeitsrechtsjurist bei der Arbeiterkammer Wien, auf Anfrage bitter aufstößt: "Wie auch  Bankangestellte haben sich Bäckereibedienstete mit ihrer Kleidung dem Arbeitsplatz zwar anzupassen. Dass er oder sie für einen Ersatz der Firmenkleidung in die eigene Tasche greifen muss, ist rechtlich aber nicht gerechtfertigt."

Haarfarbe nach Vorschrift

Tomanek weiter: "Vorschriften zur Haarfarbe und zu der des Nagellacks sind, sofern sie nicht dem Erscheinungsbild des Unternehmens schaden, ebenfalls unzulässig." Auch Tätowierungen im sichtbaren Bereich seien kein Grund für eine Entlassung, wie das von Mitarbeitern beklagt wird.

Die Pausenzeiten würden zweimal 15 Minuten vorsehen, wovon eine Viertelstunde eingearbeitet werden müsse. Bei viel Kundschaft würden die Mitarbeiter eben um die Pause umfallen. Selbst der Gang zur Toilette sei schon zum Problem geworden. Eine Stunde nach ihrer Pause habe sich eine Mitarbeiterin auf dem Weg zum WC rechtfertigen müssen, warum das ausgerechnet jetzt sein müsse. Das hätte sie doch in ihrer freien Zeit "erledigen" können. Bachmeier: "Das ist zutiefst menschenverachtend und letztklassig."

Rufbereitschaft im Krankenstand

Auch der Umgang mit den Krankenständen stößt auf Klagen. Einer Mitarbeiterin mit akuten Schmerzen seien trotz Zeitbestätigung die zwei Stunden beim Zahnarzt als Minuszeit angerechnet worden. Die Begründung: Sie hätte auch außerhalb der Dienstzeiten zum Arzt gehen können. Bachmeier: "Das ist jenseits von Gut und Böse." Auch gebe es Kontrollanrufe im Krankenstand - bis zu zweimal täglich.

Richtig verschlechtert habe sich das Arbeitsklima, seit die vom Chef veranlassten Kontrollen verschärft wurden. Kurz zur Seite gelegte Mobiltelefone im Bürozimmer oder auch geöffnete Handtaschen seien fotografiert und dem Bereichsleiter vorgelegt worden. Für Arbeitsrechtler Tomanek eindeutig nicht gesetzeskonform.

Auch Kunden-Beschwerden könnten den Alltag erheblich verschlimmern. Mitarbeiter würden ungeschaut abgemahnt, "aufgewühlte" Kunden hingegen mit Gutscheinen entschädigt. Rückhalt durch die Betriebsleitung gebe es nicht. Auch nicht im Kleinen: "Wenn du die Filialleitung nicht hinter dir hast, kannst du ganz schnell weg sein", sagt eine Mitarbeiterin.

Zäher Weg zum Betriebsrat

Seit zehn Jahren versuchen die Gewerkschaften, eine Betriebsratsgründung zu unterstützen. Ströck lege sich allerdings quer, wo es nur gehe. So boten Pro-Ge und GPA-djp jüngst den Ströck-Mitarbeitern an, einen Fragebogen zu den Arbeitsbedingungen auszufüllen und zu retournieren (das Schreiben liegt der Redaktion vor). Die Resonanz ist laut Barbara Teiber, Regionalgeschäftsführerin der GPA-djp, beachtlich und wird derzeit ausgewertet.

Ströck reagierte auf das Gewerkschaftsschreiben mit einer Filialinfo (liegt der Redaktion ebenfalls vor), "aufzuhängen an der gelben Wand von (...) bis (...) und dann zu entsorgen!". In großen Lettern findet sich darauf der handschriftliche Vermerk: "Bitte lesen und unterschreiben!" Einmal mehr betont Ströck darin, handwerklich zu produzieren, und fordert die Mitarbeiter auf: "Bitte lassen Sie sich nicht durch einseitige, durchsichtige Zurufe von außen verunsichern. Sie sind auch nicht verpflichtet, auf das Gewerkschaftsschreiben zu reagieren." Mitarbeiter berichten, Filialleiter hätten ihnen empfohlen, das Gewerkschaftsschreiben wegzuwerfen. Eine Angestellte soll im Beisein ihrer Vorgesetzten geäußert haben, das Antwortschreiben bereits ausgefüllt und abgeschickt zu haben. Zwei Tage später sei ihr gekündigt worden. "Zufall?", fragt sie heute.

Am meisten störe die Mitarbeiter, wie spät und mit welcher Willkür die Diensteinteilung erfolge. "Oft wissen die Beschäftigten erst am Samstag, wann sie am Montag arbeiten müssen." Eine Planung für das Privatleben sei so nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, meint Bachmeier. Zudem seien Stunden- und Feiertagsabgeltung oft nicht nachvollziehbar und würden nun von der Gewerkschaft geprüft.

Die Angst geht um

Bachmeier: "Es gibt keine oder nur eine geringe Wertschätzung für die Beschäftigten. Ein Beispiel: Erkrankt eine Reinigungskraft, hat das Verkaufspersonal am Abend den Ofen oder aber auch das WC zu putzen. Ein Danke gibt es nicht, dafür umso schneller eine Rüge, wenn irgendetwas nicht passt."

Der Gewerkschafter ist zuversichtlich, dass in absehbarer Zeit ein Betriebsrat gegründet wird. "Ströck-Mitarbeiter haben große Angst vor den Konsequenzen, wenn vorab bekannt wird, dass er oder sie kandidieren will." Andere hätten mit einer Zukunft bei Ströck bereits abgeschlossen. Ganz resignieren wollen diese dennoch nicht. Mit ihrem Aufstehen gegen die "Missstände" wollen sie zumindest den anderen Mitarbeitern helfen. Und wenn es das Letzte sei, was sie in diesem Unternehmen noch bewirken könnten, so der Tenor.

Geschäftsführer Gerhard Ströck wollte auf derStandard.at-Anfrage im Vorfeld keine Stellungnahme abgeben: "Ich habe mich schon genug geärgert. Jetzt habe ich mit meiner Seele Frieden gefunden."

Ströck reagiert

Am Abend nach der Veröffentlichung nahm Michael Ströck, Sohn von Geschäftsführer Gerhard Ströck, in einer E-Mail doch noch Stellung: "Meine Familie wird die erste sein, die Ihnen bestätigt, dass es in Handel und Gastronomie massive Strukturprobleme gibt. Es gibt aber Dinge, die wir wirklich nicht nachvollziehen können", schrieb Michael Ströck. "Farbigen Nagellack, ungewaschene Haare und Hakenkreuz-(!)-Tattoos kann und wird es bei uns aus rechtlichen Gründen nie geben. Das ist uns schlicht nicht erlaubt."

Ströck weiter: "Wir können nicht nachvollziehen, dass Sie uns Dinge vorwerfen, die nachweislich falsch sind. Es hat noch nie jemand aus meiner Familie versucht, die Bildung eines Betriebsrates zu verhindern oder auch nur zu erschweren." (Sigrid Schamall, derStandard.at, 29.4.2013)