Beim Ende 2012 fertiggestellten Laborgebäude Skylabs muss achtmal pro Stunde die Raumluft ausgetauscht werden.

Rendering: Skylabs Gmbh

Seit 2010 wird an der "Bahnstadt Heidelberg" gebaut, die ersten Bewohner sind im Vorjahr eingezogen. Die im Herbst 2012 fertiggestellte Kindertagesstätte wurde als bisher einziges Gebäude in Holzleichtbauweise realisiert.

Foto: Stadt Heidelberg/Kay Sommer

Dem Passivhaus weht in Zeiten steigender Bau- und Immobilienpreise ein rauer Wind entgegen. Preisbewussten Bauherren sind die perfekt gedämmten Gebäude "auf den letzten Metern zu teuer", sie halten ein gutes Niedrigenergiehaus für wirtschaftlicher. Auf der anderen Seite ist manchen das Passivhaus schon buchstäblich zu "passiv", dort wird das Plusenergiehaus, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht, zur Conditio sine qua non.

Bei der 17. Internationalen Passivhaustagung in Frankfurt war diese Ambivalenz zu spüren. Passivhaus-"Erfinder" Wolfgang Feist, Leiter des Passivhaus Instituts (PHI) Darmstadt, präsentierte zwar stolz das kürzlich eröffnete Raiffeisen-Hochhaus am Wiener Donaukanal; es ist das höchste (aber noch nicht zertifizierte) Passivhaus der Welt. Andererseits rechnete er den 1000 anwesenden Passivhaus-Fans unermüdlich die wirtschaftlichen Vorteile des Passivhauses vor und hieß jedes neue Land, aus dem erste Projekte präsentiert wurden (etwa Portugal oder Neuseeland), überschwänglich willkommen.

Heidelbergs halbe Seestadt

Und dann war da noch Heidelberg. Die Uni-Stadt am Neckar wird in Passivhaus-Kreisen derzeit intensiv beobachtet, entsteht hier doch mit der "Bahnstadt"  um zwei Milliarden Euro auf einem stillgelegten Güterbahnhof ein 116 Hektar großer Stadtteil nur aus Passivhäusern. (Zum Vergleich: Die Seestadt Aspern ist 240 Hektar groß.)

Von Anfang an sei klar gewesen, dass es bei den Wohnungen und Büros, wo es schon viel Erfahrung mit dem Passivhaus gibt, keine Kompromisse geben werde, berichtete Ralf Bermich vom Heidelberger Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie auf der Tagung. "Bei allen Anwendungen, wo es entsprechende Referenzen gibt, gilt das Passivhaus 'ohne Wenn und Aber'. Bei anderen Sonder- und Gewerbeimmobilien wussten wir aber, dass es etwas schwieriger werden wird. Da kommt es auf das Fein-Tuning an."

Baumarkt wurde knapp kein Passivhaus

Skepsis herrschte schon beim allerersten fertiggestellten Gebäude, einem 12.000 m² großen Baumarkt. "Da sind beim Lager fast ständig die Türen offen. Laufend wird etwas rein- oder rausgebracht."  Ein Konzept mit Luftschleieranlagen, optimierter Wärmerückgewinnung und Schnelllauftoren mit luftdichtem Anschluss der Blechbauteile sollte die Erreichung des Passivhaus-Standards sicherstellen; nach dem ersten Jahr des Vollbetriebs zeigte sich aber, dass es knapp verfehlt wurde. Statt des beim Passivhaus maximal erlaubten Heizwärmebedarfs von 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²/a) wurden es 17. "Die Abweichung ist zwar gering, aber einerseits hatten wir mit den 15 kWh ein verbindliches Ziel definiert, und andererseits müssen wir aufpassen, dass da nicht etwas erodiert, indem man einem Investor ohne guten Grund erlaubt, auf 17 kWh abzuweichen" , sagt Bermich. Denn: "Mit welchem Grund verweigert man dann dem nächsten die 19 kWh? Das kann sich schnell zu einem unkontrollierbaren Prozess auswachsen."

Auch beim zweiten bereits fertigen Gewerbeobjekt, dem Laborgebäude "Skylabs" mit 22.000 m² Nutzfläche, gab und gibt es große Unsicherheiten. Bei nötigen acht kompletten Luftwechseln pro Stunde (15-mal so viel wie im Wohnbereich) würde es fast unmöglich sein, ein Passivhaus zu erreichen, das ahnte man. Der profane Ausweg war hier, das Gebäude für die Zertifizierung als Büroobjekt zu betrachten und die bestmögliche Optimierung der Lüftung und Wärmerückgewinnung zu fordern.

Qualitätssicherung im Fokus

Die wichtigste Frage stellte sich aber ohnehin ganz zu Beginn: Wie kann die Stadt sicherstellen, dass alle Bauträger nur PHI-zertifizierte Passivhäuser bauen – oder es zumindest ernsthaft versuchen? Rechtliche Grundlage dafür gab es keine, also mussten andere Maßnahmen her, sagt Bermichs Kollege Robert Persch: Man legte großen Wert auf die Imagebildung der "Bahnstadt"  als "Nullemissionsstadtteil", was sie für Investoren attraktiv machen sollte. In Zusammenarbeit mit der regionalen Energieagentur KliBa wurde beraten und informiert, erste Gespräche mit den Bauträgern über das Passivhaus wurden noch vor Grundstückskauf geführt. Für die 1500 Wohnungen – die ersten wurden im Vorjahr bezogen – wurden weiters 50 Euro pro Quadratmeter an Förderung gewährt.

Bei Nichterreichung des Passivhausstandards drohen den Entwicklern allerdings auch Pönalen von 100 Euro pro Quadratmeter. "Wir wollten auch ein bisschen Druck ausüben", sagt Persch.

Parallel wurde ein ausgeklügeltes Qualitätssicherungssystem hochgezogen. Schon im Bauantragsverfahren durfte nur mit PHI-zertifizierten Komponenten gerechnet werden, und von Beginn an standen Baustellenbegehungen durch KliBa-Mitarbeiter auf der Tagesordnung.

Chancen für "Pfuscher"

Die Qualitätssicherung ist gut durchdacht, aber letztlich nicht lückenlos möglich, gibt Persch zu. "Wir verstehen uns nicht als Bauleitung. Wenn einer unbedingt pfuschen will, hat er durchaus Chancen, dass wir was übersehen."

Weil der Baumarkt zu den Sonderobjekten zählt, mit denen man in erster Linie Erfahrungen sammeln will, hat der Errichter mit keiner Strafe zu rechnen, es werde aber "Kompensationsmaßnahmen" geben, so Bermich: "Der Bauträger wird verpflichtet, bei der Beleuchtung zu optimieren, also im Bereich der LED-Steuerung und des Stromverbrauchs."

Erstes Passivhaus-Kino der Welt

Unwägbarkeiten gäbe es viele, auch bei den Büroobjekten. "Wenn da ein sehr rechenintensives Planungsbüro einzieht, kann es durchaus vorkommen, dass auch im Bürobereich der angepeilte Primärenergieverbrauch nicht eingehalten wird. Beim Labor können wir ohnehin die Geräteausstattung nicht komplett vorhersehen, weil sich diese nach wissenschaftlichen Erfordernissen richtet, die zum Teil heute noch gar nicht bekannt sind."  Beim Baumarkt wird sich zeigen, wie gut es den Mitarbeitern gelingt, die Türen stets so gut wie möglich geschlossen zu halten.

Die nächsten beiden großen Projekte der Bahnstadt-Bauer sind ein 12.000 m² großes Hotel und ein Multiplex-Kino mit zwölf Sälen – das erste Passivhaus-Kino der Welt. "Hier steht weniger das Heizen im Winter im Vordergrund, vielmehr der Stromverbrauch und das Kühlen im Sommer" , so Bermich. Vor wenigen Tagen wurde ein Investor gefunden, mit diesem will man schon demnächst erste bautechnische Gespräche führen. Damit dann auf der 18. Passivhaustagung im nächsten Jahr in Aachen schon von weiteren Fortschritten berichtet werden kann. (Martin Putschögl, DER STANDARD, 27./28.4.2013)