Foto: Bernath

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"Heraus zum 1. Mai!" ist so eine Sache dieses Jahr. Der halbe Taksim-Platz - traditioneller, aber lange Zeit verbotener Aufmarschplatz der türkischen Gewerkschaften, der Linken, Super-Linken und aller demokratisch Bewegten - ist Baustelle. Linker Hand sozusagen, vom Istiklal aus gesehen, klafft ein enormes Loch. Da kommt auf Wunsch von Regierung und Bürgermeister (beide AKP) die erste von mehreren Tunnelröhren hinein. Der Taksim wird unterminiert, und weil zum Demonstrieren an diesem 1. Mai weniger Platz ist, wollen die Behörden keine Genehmigung erteilen und empfehlen Kadiköy und Bakirköy als Ausweichplätze. Das lehnt das Volk des 1. Mai selbstverständlich ab.

Der 1. Mai auf dem Taksim wird im Allgemeinen am Kriterium der Friedlichkeit gemessen, nicht so sehr an seinen Forderungen nach besserer Ausbildung und Entlohnung, nach Einhaltung von Arbeitsverträgen und Schutzbestimmungen vor Unfällen am Arbeitsplatz, sofern sie überhaupt existieren. Dafür gibt es einen Grund: den 1. Mai 1977, als Bewaffnete von einem Gebäude in die Menge der Demonstranten schossen und 34 Menschen starben, der überwiegende Teil durch das Chaos, das nach den Schüssen ausbrach und der, so heißt es, geplanten Intervention von Polizei und Armee. Für drei Jahrzehnte war der Taksim dann für Demonstrationen am 1. Mai geschlossen.

Zusammenstöße erwartet

Dieses Jahr gibt einerseits der Verhandlungsprozess mit der PKK Anlass zu friedlicher Stimmung, andererseits aber wird das vom Gouverneur von Istanbul ausgesprochene Demonstrationsverbot am Taksim wegen der Bauarbeiten absehbar zu Zusammenstößen mit der Polizei führen.

Plakate mit dem Aufruf zur großen Sammlung auf dem Taksim pflastern seit Tagen die Häuserwände. Das gibt Einblick in das gar nicht leicht zu verstehende linke Sammelsurium von Bewegungen in der Türkei. Die Halkın Kurtuluş Partısı (Partei der Volksbefreiung), nicht zu verwechseln mit der Anschläge verübenden Devrimci Halk Kurtuluş Partısı-Cephesi (DHKP-C), der Revolutionären Partei der Volksbefreiung-Front, wirbt mit einem ordentlich enragierten Proletarier mit der eisernen Faust und Aufrufen gegen den "Imperialismus von EU und USA". Die 2005 gegründete Partei soll mit negativen Bemerkungen gegenüber dem ermordeten Verleger Hrant Dink aufgefallen sein, den sie als "Puppe der CIA" und als vom Marxismus "abgefallen" bezeichnet haben soll.

Angst vor Kontrollen

Das Plakat der Revolutionären Anarchistischen Aktion (Devrimci Anarşist Faaliyet) ziert das obligatorische "A". Deren Anhänger marschierten 2010 zum Taksim, zogen angeblich aber wieder ab, weil sie keine Personenkontrollen durch die Polizei über sich ergehen lassen wollten - "Wir werden uns nicht von Mördern durchsuchen lassen", lautet ihre Erklärung.

Die Studentenkollektive (Öğrenci Kollektifleri) kommen in Blau daher. "Universität auf den Beinen" heißt ihr Slogan. Sie sollen in letzter Zeit zunehmend Anhänger unter den Studenten gewonnen haben und lieferten sich einige Zusammenstöße mit der sehr prügelwilligen Polizei. Öğrenci Kollektifleri hatten etwa im Dezember 2010 vor dem Dolmabahce-Palast in Istanbul gegen Regierungschef Tayyip Erdogan demonstriert. Eine schwangere Studentin war damals von einem Beamten getreten worden und verlor daraufhin ihr Kind. Die Studentenkollektive sollen ein relativ weites Spektrum von Mitgliedern von links-revolutionär bis linksliberal haben und sind etwa für das Ende des - ohnehin nicht mehr aufrecht erhaltenen - Kopftuchverbots.

Revolutionäre Jugend

Revolutionär kann man schon auf dem Gymnasium werden. Dafür gibt es dann Dev Lis (Devrimci Liseler) mit dem Che, eine Nachwuchsorganisation für allerlei links-revolutionäre kommunistische Gruppen. Die Halk Evleri (Volkshäuser) wiederum warten zum 1. Mai mit geballten, aber bunten Fäusten auf, was ein bisschen nach Benetton oder einer Versammlung Extraterrestrischer ausschaut, die zum 1. Mai aus ihren Quadranten einfliegen, aber weit gefehlt: Die progressiven Volkshäuser, von Kemal Atatürk eröffnet, gibt es schon fast so lange wie die türkische Republik. Allerdings sind sie vom konservativen Mainstream abgebogen. Oder vielmehr: Die türkische Gesellschaft ist davongeschwommen in Richtung Konsum und Kapital ... (Markus Bernath, derStandard.at, 30.4.2013)