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Berlin steuert auf die Rekommunalisierung des Stromnetzes zu.

Foto: ap/sohn michael

Die Stadt Berlin entscheidet im Jahr 2014, wer ihr Stromnetz in Zukunft betreibt. Das Thema lässt die Wogen hochgehen und bereitet dem derzeitigen Betreiberkonzern Vattenfall Kopfschmerzen. Während sich Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) für eine Rückkehr unter die Fittiche der Stadtverwaltung starkmacht, wollen viele Bürger ihr Netz selbst besitzen. Die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin sammelt dafür Geld. Ihr Gesicht nach außen ist die 27-jährige Luise Neumann-Cosel.

Elementare Daseinsvorsorge

Einem breiteren Publikum bekannt wurde sie in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner". Dort brachte sie ihr Anliegen so eindrucksvoll vor, dass sogar der mitdiskutierende Umweltminister Peter Altmeier (CDU) Genosse werden wollte. "Ja gerne!", ließ Altmeier die Zuschauer wissen. Nicht gerade alltäglich, dass eine gepiercte Anti-AKW-Aktivistin auf das Wohlwollen eines Merkel-Vertrauten stößt.

Strom braucht jeder. Und es ist nicht egal, wie dieser Strom erzeugt wird. Das sind die zwei Grundgedanken, die Neumann-Cosel antreiben. Elementare Daseinsvorsorge müsse nachhaltig sein, und das heiße eben ökologisch und dezentral. Der schwedische Konzern Vattenfall hingegen sei primär seinen Aktionären verpflichtet und würde in seinen Schwesterunternehmen auch noch Energie aus Kohle und Kernkraft gewinnen. Sei es mit dem Einspeisevorrang von Erneuerbaren – Solar- oder Windstrom etwa – vorüber, dann feierten "schmutzige" Energiequellen fröhliche Urständ, davon ist die studierte Geo-Ökologin überzeugt.

Was Neumann-Cosel dabei verschweigt, ist die Neutralität des Netztransports. Egal woher die Energie kommt, solange deren Gewinnung gesetzlich erlaubt ist, muss sie auch eingespeist werden. Der Netzbetreiber ist ausschließlich für den Transport zuständig, eine Auswahl der Energiequelle steht ihm nicht zu.

Bürger zahlen ohnehin

Was er aber machen kann, ist den Anschluss der Erneuerbaren an das Stromnetz möglichst zu fördern. Denn die Stromerzeugung geschieht zu immer größeren Teilen dezentral. In Berlin gibt es über 5.000 Photovoltaik-Anlagen. Da die Stadt sehr groß ist – von der Fläche her mehr als doppelt so groß wie Wien – verteilen sich diese Stromquellen über einen großen Raum. Investitionen in das Netz sind also unabdingbar.     

Alleine in Spandau - einem weitläufigen Bezirk fast so groß wie die Wiener Donaustadt – hat Vattenfall dafür laut eigenen Angaben 125 Millionen Euro investiert. 1,4 Milliarden Euro will man in den nächsten zehn Jahren in das Netz stecken. Geht es nach Neumann-Cosel, hat sich Vattenfall dafür kein Lob verdient. "Das sind Gelder, die jeder Berliner als Netzentgelt mit seiner Stromrechnung bezahlt", sagte sie in einem Streitgespräch mit Vattenfall-Manager Helmar Rendez in der Tageszeitung (Taz).

Suche nach Geld

Heikler wird es bei der Frage, wie die Genossenschaft überhaupt in die Position kommen will, das Berliner Stromnetz zu verwalten. Denn selbst wenn man die Konzession zugesprochen bekommt - ob als alleiniger Betreiber oder Juniorpartner der Stadt -, ist eine Ablöse an Vattenfall fällig. Diese dürfte Hunderte Millionen, wenn nicht über eine Milliarde Euro betragen. Gerade einmal fünf Millionen Euro sind bis dato in der Genossenschaftskasse zusammengekommen. Ausbaufähig in einer Stadt, in der fast zwanzig Prozent die Grünen wählen. "Wir können noch ein wenig Unterstützung gebrauchen", beweist Neumann-Cosel im ZDF Sinn für Selbstironie. 

Der Unternehmung zu Schwung verhelfen kann man, indem man der Genossenschaft beitritt oder als Treugeber fungiert. Ersteres ist ab 100 Euro möglich, zweiteres ab 500 Euro. Im Unterschied zum Mitglied wird das Geld des Treugebers nur im Falle der Konzessionserteilung verwendet und liegt bis dahin auf einem Treuhandkonto.

Am Gewinn beteiligt

Wenn man mehr investieren, das Risiko aber niedrig halten will, ist auch eine Kombination beider Anlagearten möglich. Zumindest 40 Prozent der Summe, mit der man in den Ring steigt, sollen aus Eigenmitteln stammen, so Neumann-Cosel zur Taz. Der Rest werde in Form von Krediten aufgenommen. Sollte David Genossenschaft gegen Goliath Vattenfall siegen, dann sind die Geldgeber an einem potenziellen Gewinn beteiligt.      

Im Fall des Falles käme es dann zu einem Betriebsübergang, im Rahmen dessen die Mitarbeiter gehalten werden sollen. Nicht gelten dürfte das allerdings für die Top-Manager, da man "anderen Grundsätzen verpflichtet ist als denen des Vattenfall-Konzerns".

Suche nach Bürgernähe

Einen Betriebsübergang stellt sich auch Bürgermeister Wowereit vor. Seinem Plan zufolge wird aber die Stadt die Konzession erhalten, nicht die Genossenschafter der BürgerEnergie Berlin. Laut Koalitionsvertrag der SPD und CDU soll die Stadt zumindest 51 Prozent der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte des zukünftigen Betreiberunternehmens "Berlin Energie" halten.

Da die Stadt letztlich auch entscheidet, scheint eine Rekommunalisierung sicher. Das ist auch Neumann-Cosel bewusst, die sich als Juniorpartner mit 25,1 Prozent Anteil und damit einer Sperrminorität ins Spiel bringt.

Darum rittert allerdings auch Vattenfall-Manager Rendez. Im Vorfeld der Konzessionsvergabe gibt der sich in der Taz denn auch bürgernah: "Was wir als Vattenfall leidvoll gelernt haben, ist es, stärker auf die Bürgerinnen und Bürger einzugehen." (sos, derStandard.at, 1.5.2013)