Das Margaretenbad wurde 1928 nach einem Entwurf des jüdischen Architekten Eugen Székely errichtet. Nach einer langen Geschichte der "Arisierung" und Renovierung wurde es Mitte der 1980er-Jahre abgetragen.

Foto: Universalmuseum Joanneum

Gegenüber dem Hauptbahnhof, wo sich heute der Autoverkehr auf dem Bahnhofgürtel staut, stand einst das erste Grazer Arbeitsamt. Um 1930 gehörte es zu den fortschrittlichsten und prestigeträchtigsten Gebäuden der Stadt. Als architektonisches Symbol der Moderne und eines neuen Umgangs mit der wachsenden Zahl arbeitsuchender Menschen wurde es in diversen Ausstellungen prominent präsentiert.

Dass sich die Stadt 1956 zum Abriss entschied, war eine Folge der massiven Kriegsschäden und ist nicht weiter bemerkenswert. Was jedoch auffällt, ist die konsequente Ausblendung dieses Bauwerks aus der Architekturgeschichtsschreibung. "Das physische Verschwinden des Gebäudes allein kann dieses Vergessenwerden nicht erklären", ist die Kunsthistorikerin Antje Senarclens de Grancy überzeugt. "Denn in der Architekturgeschichte wurden viele Bauten in den Kanon aufgenommen, die es nicht mehr gibt."

Dabei spiele aber auch ihre "mediale Verfügbarkeit" eine Rolle: Sind etwa Fotografien vorhanden, erhöhen sich die Chancen einer Kanonisierung. Bezeichnenderweise gibt es vom ersten Grazer Arbeitsamt nur noch ein einziges Foto. Der Prozess des Verschwindens beginnt aber bereits bei seinem Schöpfer, dem damals sehr erfolgreichen jüdischen Architekten und Hans-Poelzig-Schüler Eugen Székely. Dieser erhielt 1927 den Staatspreis für Architektur, ein Jahr später die Goldene Medaille für Verdienste um die Republik und noch 1932 die Silberne Kunstmedaille der Stadt Graz.

In einer Festschrift des Steiermärkischen Werkbundes 1933 ist Székely allerdings nur noch mit zwei kleinen Designobjekten vertreten, das Arbeitsamt und andere seiner Bauwerke werden nicht einmal erwähnt. "Der Anschluss vollzieht sich hier wesentlich subtiler als durch die Einführung eines 'Arierparagrafen', wenn auch kaum weniger erfolgreich", folgert Senarclens de Grancy. Aus der österreichischen Architekturgeschichte bleibt Székely fast 70 Jahre lang verschwunden.

Große Utopien

Als Ausgangspunkte für ihren Vorstoß in die materiellen, zeitlichen und politischen Dimensionen des Vergessens haben Antje Senarclens de Grancy und die Zeithistorikerin Heidrun Zettelbauer fünf nicht mehr existierende Grazer Bauten aus der Zwischenkriegszeit gewählt, in denen sich einst die großen Utopien ihrer Zeit spiegelten. Ihre architektonische Spurensuche führte die Forscherinnen vom ersten Grazer Arbeitsamt über das ebenfalls von Eugen Székely entworfene Margaretenbad und die genossenschaftlich errichtete Arbeitersiedlung Amselgasse bis zur Jüdischen Zeremonienhalle von Alexander Zerkowitz und dem Kinderheim Lend von Franz Schacherl.

All diese zukunftsweisenden Bauten der Moderne verschwanden: Die Zeremonienhalle wurde im Zuge der Novemberpogrome 1938 zerstört, das Arbeitsamt wurde abgetragen, das Kinderheim und die Arbeitersiedlung hat man im Lauf der Jahre so massiv umgebaut, dass von der ursprünglichen Bausubstanz praktisch nichts mehr übrigblieb. Das Margaretenbad wurde 1938 "arisiert", der jüdische Besitzer - Alexander Zerkowitz' Sohn Bruno - wirtschaftlich ruiniert und 1942 im KZ Jasenovac im heutigen Kroatien ermordet. 1946 wurde das Freibad an Bruno Zerkowitz' Frau, die überlebte, restituiert. 1961 wurde es von der Stadt Graz übernommen "und ab den 1970er-Jahren einer so umfassenden Renovierung unterzogen, dass die Anlage nichts mehr mit der subtilen Planung Eugen Székelys gemein hat", sagt Senarclens de Grancy.

So unterschiedlich die Gründe ihres Verschwindens auch sind, in zwei Aspekten gleichen sich diese Bauten: Sie alle hatten jüdische Architekten und waren bis vor kurzem aus der öffentlichen Wahrnehmung getilgt. Doch den beiden Forscherinnen geht es nicht nur um eine Ergänzung der österreichischen Architekturgeschichte um ihren "jüdischen Anteil", sondern auch um den Blick hinter die Kulissen von Kulturgeschichtsschreibung und Kanonbildung sowie um die Ortung der Verbindungslinien zu gesellschaftlichen Prozessen, Utopien und schwarzen Löchern: "Welchen gesellschaftlichen Parametern folgen das Vergessen, das Erinnern, das (Wieder-)Erzählen?"

Rekonstruiertes Vergessen

Ihre Rekonstruktion der Prozesse des Vergessens und der damit verwobenen Biografien haben Antje Senarclens de Grancy und Heidrun Zettelbauer als Herausgeberinnen im Sammelband Architektur. Vergessen (Böhlau 2011) zusammengefasst. Angereichert mit Texten von Wissenschaftern unterschiedlicher Disziplinen legen sie damit den Blick auf jene Bedingungen frei, die Architektur in das gesellschaftliche Bewusstsein ein- oder auszublenden vermögen. Sie erzählen sowohl von den Gebäuden, den Bedingungen ihres Entstehens und ihres Verschwindens als auch von den Menschen, in deren Köpfen sie zuallererst existierten. Von Eugen Székely zum Beispiel, der Österreich bereits 1935 verließ. Er baute sich in Haifa eine neue Existenz auf, wo er 1962 starb.

Franz Schacherl, den Architekten des Kinderheims, traf es härter. Als exponierter Linker und Jude bekam er ab 1934 keine öffentlichen Aufträge mehr. Nach dem "Anschluss" flüchtete er über Paris nach Angola, wo er 1943 an einem durchgebrochenen Magengeschwür starb. Am radikal umgebauten Kinderheim erinnert heute nichts mehr an diesen Pionier des sozialen Wohnbaus der Zwischenkriegszeit. Nur zwei Kellerfenster und einige Türklinken zeugen noch vom "proletarischen Kulturhaus" im Grazer Arbeiterbezirk Lend.

Alexander Zerkowitz, Grazer Stadtbaumeister und Architekt der Zeremonienhalle, starb schon 1927. So blieb ihm das Schicksal seiner Familie erspart, die in Konzentrationslagern und Ghettos ermordet wurde. (Doris Griesser, DER STANDARD, 08.05.2013)