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Aufgeladen und abgefackelt: Szenen vom Beginn der Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 in Berlin und ihrem schmählichen Schlusspunkt, 1938 auf dem Salzburger Residenzplatz (unten).

Foto: Deutsches Bundesarchiv, AP

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Am 13. Mai 1933 war Willi T. wieder in Wien und erzählte seiner Tante freudig, dass er drei Tage zuvor am Berliner Opernplatz war, als "Bücher jüdischer Autoren" feierlich verbrannt wurden. Die sozialdemokratische Tante war fassungslos: "Darauf bist du stolz?" Er nickte. Willi war Mitglied der österreichischen "NSDAP-Hitlerbewegung", nach dem Verbot im Juni 1933 Illegaler, später bei der Totenkopf-SS an der Ostfront und schlug sich 1945 auf abenteuerliche Weise nach Österreich durch.

Er ersoff seine Nazigesinnung in Alkohol und wählte nun sozialistisch wie seine Tante, meine Großmutter; eine Frau, der Bücher heilig waren, obwohl "nur" Tochter einer Hausmeisterin. Ihrem Lieblingsneffen Willi ließ sie seinen Nazismus "durchgehen". Aber als er sie aufforderte, ihre kleine Bibliothek, knapp 100 Bücher, von jüdischen Autoren zu säubern, endete ihre Toleranz: Was er politisch tue, sei schlimm genug, aber wer die Achtung vor Büchern verliere, verliere sie auch bald vor Menschen. So hat sie es mir Jahrzehnte später erzählt. Dass sie einen berühmten Spruch Heines abgewandelt hatte, wusste sie nicht: "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher / Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Sie hatte nur ein paar Gedichte Heines gelesen. Der kleine Band steht heute in meiner Bibliothek. Meine Großmutter, eine intelligente aber keine intellektuelle Frau, hatte sich dem Zeitgeist verwehrt und Widerstand geleistet.

Das konnte man nicht von allen Intellektuellen sagen. Viele Autoren verhielten sich erbärmlich. Die Rolle der deutschsprachigen PEN-Clubs ist von diesen selbst nie voll aufgearbeitet worden. Eine schwärende Wunde bis heute angesichts der hehren Ansprüche der PEN-Charta. So brach 2011 ein Konflikt zwischen dem "Exil-PEN deutschsprachiger Autoren" und dem deutschen PEN-Zentrum aus, als der Erste den berechtigten Vorwurf der "Geschichtsklitterung" erhob. Das deutsche Zentrum hatte erklärt, man sei 1933 aufgelöst worden. Wahr ist, dass der deutsche PEN nach seiner Selbstunterwerfung unter die Nazis 1934 aus dem internationalen PEN ausgetreten ist. Die eben erfolgte Wahl von Josef Haslinger zum neuen Präsidenten des deutschen PEN lässt auf eine Neubewertung hoffen.

Auch der österreichische PEN hat sich 1933 nicht mit Ruhm bekleckert. Klaus Amann hat das in "PEN. - Politik, Emigration, Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub" (1984) akribisch belegt. Die Kritik kam beim österreichischen PEN nicht gut an. Selbst ein kritischer Geist wie der kürzlich verstorbene Roman Rocek rettet sich in seiner Darstellung in Ausflüchte und versucht, zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, wenn er Ossietzky vorwirft, Delikte begangen zu haben, "deren Hintergrund man als kriminell interpretieren kann".

Noch 2000, als Roceks Geschichte des PEN erschien, kann er sich nicht durchringen, die damalige Haltung des Clubs offen zu kritisieren. Man hatte beschlossen, die Bücherverbrennungen am Weltkongress 1933 auszuklammern, um die deutschen Kollegen nicht zu provozieren. Ein einziges Vorstandsmitglied sprach sich dagegen aus und wurde aufgefordert, dem Kongress fern zu bleiben. Dort kam es trotzdem zum Eklat. Obwohl die beschlossene Stellungnahme zu den Bücherverbrennungen sehr allgemein ausfiel, verließen die deutschen Delegierten und die österreichische Generalsekretärin unter Protest den Kongress. In der Folge verließen 53 naziaffine Mitglieder den Wiener PEN (25 Prozent). Zurück blieben vorwiegend die national-katholischen Autoren.

Die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 in Deutschland waren kein spontaner Ausbruch der Volksseele, wie es die Nazi-Propaganda darstellte, sondern von langer Hand geplant. Seit Anfang April fanden in ganz Deutschland Aktionen statt, Bibliothekare erstellten Listen zu vernichtender Bücher, Uni-Professoren halfen mit. Die Haltung vieler PEN-Autoren war nicht nur ihrer Überzeugung geschuldet, sondern der Hoffnung, aus der dritten, vierten Reihe in die erste vorzurücken, wenn die jüdische Konkurrenz beseitigt war. Die "einfachen" Nazis hatten die Arisierung von Vermögen als Akt der Selbstbereicherung, die erlaubten Autoren profitierten von der Bücherverbrennung. Jene österreichischen Autoren, die offen für Nazi-Deutschland eintraten, wurden belohnt, zu Lesungen ins "Reich" eingeladen und erhielten Verträge mit deutschen Verlagen.

Die zögerliche Haltung des internationalen PEN zu den deutschen Vorgängen beruhte nicht nur auf Interessen, sondern auch auf dem Denkfehler, man könne in Fragen von Zensur und Menschenrechtsverletzungen taktisch vorgehen. Man fühlte sich unpolitisch, wollte sich in innere Angelegenheiten von Ländern nicht einmischen. Vielen Repräsentanten des PEN war und ist es wichtig, die Anerkennung der "Mächtigen" zu genießen. (Der österreichische PEN war diesbezüglich bereits in den 1920ern besonders anfällig: Man traf sich zu Banketten im Imperial und gierte nach der Anerkennung durch Politiker.) Eine Verhalten, das heute in Ungarn zu beobachten ist. Umso wichtiger, dass der österreichische PEN die dortigen Vorgänge inzwischen scharf verurteilt hat. Es ist klar, dass der "regimetreue" ungarische PEN den Grundsätzen der Charta nicht gerecht wird.

Diese Grundsätze sind politische. Und Verstöße können nur politisch beantwortet werden. Das Versagen der "Altvorderen" lastet bis heute auf den Schultern des PEN und harrt einer nichts beschönigenden Aufarbeitung in den eigenen Reihen. Ohne Rechtfertigungen, ohne Ausflüchte.

In Österreich fanden die Bücherverbrennungen dann ihren schmählichen Schlusspunkt: Am 30. April 1938 loderten die Flammen am Residenzplatz in Salzburg.

Onkel Willi stand im Spalier und war sehr zufrieden. Im folgenden Weltenbrand verbrannte seine Seele endgültig. Eine milde Strafe für das, was Leute wie er angerichtet hatten. (Michael Amon/DER STANDARD, 11./12. 5. 2013)