Aufarbeitung tut gar nicht so weh. Im Gegenteil kann die kathartische Wirkung eines schonungslosen Hinsehens gar nicht überschätzt werden. Das hat Sylvia Necker schon mit der Ausstellung Hitlerbauten im Linzer Stadtmuseum Nordico bewiesen. Nüchtern, klar und ohne Schuldzuweisungen hat die Kuratorin dort die Geschichte des Wohnungsbaus in Linz unter den Nationalsozialisten erzählt. Und diese Geschichte ist auch eine der WAG, der Wohnungsaktiengesellschaft der Reichswerke Hermann Göring. Darüber ist sich die heutige Geschäftsführung im Klaren. Und sie ersuchte Sylvia Necker, die Ausstellung Wohn(ge)schichten - 75 Jahre WAG zu machen.

Wie Assoziationsinseln hängen im Architekturforum Oberösterreich Gebilde aus Umzugskartons von der Decke (Ausstellungsarchitektur Clemens Bauder und Klaus Michael Scheibl). Sie sind beklebt mit Fotografien, Kopien von Dokumenten und Texten zur Bautätigkeit der WAG, die 1938 gegründet wurde, um "Wohnungen für die Volksgemeinschaft" zu errichten. Was bedeutete, Wohnungen für die Arbeiter und Arbeiterinnen der neu errichteten Reichswerke Hermann Göring. Eine "soziale Segregation", die nach 1945 auch für Familien der Mitarbeiter der Voest (die aus den Göring-Werken hervorging) galt.

Durch Beispiele aus anderen Städten zeigt Necker auf, wie bis 1945 an einer Normierung und Typisierung im Wohnungsbau festgehalten wurde. Das hatte mehrere Gründe: nicht allein eine ästhetische Gleichschaltung im Sinne eines "typisch" deutschnationalen Erscheinungsbildes, viel mehr ging es um eine Ökonomisierung im Wohnungsbau, um die Verwendung des "einen" Ziegels und des "einen" Küchenstuhls - nur so konnten Kosten minimiert werden angesichts eines geldvernichtenden Rüstungsbetriebs.

Die WAG bestand nach 1945 weiter. 1959 hatte sie in 16 Städten und vier Bundesländern 10.408 Mieteinheiten, 1968 wurde die 15.000. Wohnung fertiggestellt. Auch wenn Necker Jahrzehnte zusammenfasst, erzählt sie keine lineare Geschichte, sondern stellt Querbezüge über Sichtachsen her. Eine Fotoausstellung, in der Petra Moser sich den Küchen der WAG-Wohnungen widmet, und ein öffentliches Wohnzimmer ergänzen die Schau. (wkh, DER STANDARD, 15.5.2013)