Die irakische Regierung in Bagdad und die Kurdische Regionalregierung (KRG) in Erbil versuchen sich nun nach monatelangen schweren Spannungen wieder zusammenzuraufen. ­Daran nicht unbeteiligt dürfte die Einsicht der irakischen Kurden sein, dass sie wahrscheinlich noch länger mit dem irakischen Premier Nuri al-Maliki leben müssen. So wie seine – untereinander uneinigen – Kritiker es im Parlament in Bagdad nicht geschafft haben, ihn auszuhebeln, so haben ihn auch die irakischen Wähler und Wählerinnen nicht abgewählt, wenn sie ihm auch einen Strafzettel verpasst haben. Die Provinzwahlen im Irak haben Malikis „Rechtsstaat"-Bündnis zwar klare Verluste gebracht, aber es bleibt noch immer stärkste politische Kraft.

Zur Erinnerung: 12 der 18 Provinzen haben im April jeweils ein Provinzparlament gewählt. Die drei Provinzen der autonomen kurdischen Region (Erbil, Sulaymaniya, Dohuk) haben ihren eigenen Wahlfahrplan; in der Provinz Tamim, in der das umstrittene Kirkuk liegt, wurde wie schon bei den Provinzwahlen 2009 mangels eines Konsenses der verschiedenen ethnischen Gruppen nicht gewählt; außerdem wurden die Wahlen in den sunnitischen Provinzen Anbar und Niniveh wegen der schlechten Sicherheitslage verschoben. So sagt es jedenfalls die Regierung, die Sunniten dort sprechen einmal mehr von Diskriminierung.

Der Block Malikis – der selbst aus der schiitisch-religiösen Dawa-Partei stammt – siegte in den 12 Provinzen noch immer in sieben, 2009 waren es allerdings neun gewesen. In Bagdad und in Basra verlor Maliki die absolute Mehrheit. Da der „Rechtsstaat" diesmal auf einer breiteren Parteienbasis stand als 2009, ist der Verlust offensichtlich, aber an erster Stelle bleibt Malikis Block trotzdem.

Malikis schiitische Konkurrenten verzeichnen schwache und stärkere Zuwächse: Der jetzt auch nicht mehr so junge Wilde Muktada al-Sadr, der sich thematisch immer wieder Maliki-Kritikern anschließt, stagniert mehr oder weniger, siegte aber in der Provinz Maysan. Mit Gewinnen abgeschnitten hat der „Islamische Höchste Rat im Irak" (ISCI), der nach dem Krebstod seines Führer Abdelaziz al-Hakim 2009 Zerfallserscheinungen zeigte. Ammar al-Hakim, sein nicht unumstrittener Sohn, hat sich nun konsolidiert und dazugewonnen. Der ISCI liegt mit dem „Rechtsstaat" in der Provinz Wasit sogar gleichauf. Als gemeinsame Kraft schlossen die Schiiten sehr gut ab, in Diyala liegt die schiitische Dreier-Koalition vorne, wobei aber der Zusammenschluss der Sunniten ein Patt mit den Schiiten ergeben würde. Dort werden die Kurden das Zünglein an der Waage sein. Die Stärke der Schiiten in Diyala ist wirklich überraschend: Das ist die Provinz, in der 2006 die schiitenfeindliche irakische Al-Kaida ihren „Islamischen Staat im Irak" errichtete.

Der ehemalige starke Mann der Amerikaner, Iyad Allawi, 2004-2005 (ernannter) Premierminister und knapper Sieger der Parlamentswahlen von 2010, ist abgestürzt. Auch wenn das Ergebnis von Provinzwahlen, in denen Lokalpolitik eine größere Rolle spielt und auch lokale Listen reüssieren, nicht eins zu eins auf Parlamentswahlen umgelegt werden kann, ist das dennoch eine bedenkliche Niederlage: Allawi, ein Säkularer schiitischer Herkunft, wurde immer als Bollwerk gegen konfessionelle Politik angesehen. Die Sunniten, die ihn deshalb gewählt haben, wählen jetzt aber offensichtlich auch (wieder) eher konfessionell sunnitisch. Das kann man auch daraus schließen, dass Saleh al-Mutlaq, ein säkularer Nationalist sunnitischer Herkunft, ebenfalls abgestraft wurde. Mutlaq, mit Maliki eigentlich im Dauerclinch, hatte sich zuletzt wieder mit dem Premier arrangiert, gebracht hat es ihm nichts.

Der neue Name an der sunnitischen Politikerfront ist Osama al-Nujaifi, der aktuelle Parlamentspräsident. Seine Liste Muttahidun (die Vereinigten), die er gemeinsam mit seinem Bruder führt, ist nach diesen Wahlen die stärkste sunnitische Partei. Er hat die meisten Wähler der nach 2010 zerbrochenen Iraqiya-Liste von Allawi eingefangen, deren Abspaltungen (Weiße Liste, Freie Iraqiya) sich nicht behaupten konnten.

Das Bild ist natürlich nicht komplett, solange in Niniveh und Anbar nicht gewählt wurde – den Hochburgen des sunnitischen Protests gegen Maliki. Auch von dort kommen nun konstruktivere Töne. Die Galionsfigur der Proteste, der sunnitische Geistliche Abdul Malek al-Saadi, hat mit dem „Anbar Coordination Committee" bei einem Treffen in Amman – an dem auch Uno-Vertreter teilnahmen – einen Vorschlag für einen formalen Dialog mit der Regierung Maliki erstellt, die er die „Gute-Absichten-Initiative" nennt. Nach der Erstürmung eines Protestcamps durch irakische Sicherheitskräfte  drohten ja die Spannungen zwischen Sunniten und Regierung in bürgerkriegsähnliche Unruhen zu entgleisen. Offenbar ziehen jetzt auch die Sunniten die Notbremse. Die Forderungen an Maliki haben alle mit der vermeintlichen Diskriminierung durch die schiitisch-geführte Regierung zu tun: schlechte Behandlungen durch Behörden und Sicherheitskräfte, Verhaftung von Unschuldigen, Druck durch gegen Sunniten gerichtete Antiterror-Gesetze – die die Todesstrafe inkludieren, die ja sogar gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tariq al-Hashimi ausgesprochen wurde. Das sunnitische Protestcamp, in dem sunnitische Geistliche eine große Rolle spielen, hat auch enge Beziehungen zur bei den Provinzwahlen erfolgreichen Nujaifi-Partei Muttahidun. Maliki, der nun erfahren hat, dass seine Bäume nicht in den Himmel wachsen, hört also besser darauf, was ihm unter dem Titel „Gute Absichten" präsentiert wird: Zeit für den Dialog im Irak. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 15.5.2013)