Existenzielle Zuspitzung jenseits des ausgeglichenen Schönklangs: Matthias Goerne.

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Wien - Wenn sich ein Sänger daranmacht, den Olymp des Liedgesangs zu erklimmen, kann er einem Giganten der kleinen Form keinesfalls ausweichen. Auch wenn man inzwischen glücklicherweise davon abgekommen ist, Franz Schubert auf die Rolle des "Liederfürsten" zu reduzieren und auch seine anderen Werkkomplexe zu verstehen gelernt hat, ist der Berg seiner rund 600 Lieder allein immer noch ein ebenso unerschöpfliches wie erschöpfendes Konvolut.

Matthias Goerne, der gerade dabei ist, seine Auseinandersetzung mit Schuberts Liedschaffen auf elf CDs zu dokumentieren, ist nun bei seiner Auseinandersetzung mit den Liederzyklen in eine neue Phase eingetreten, wie er am Dienstag anhand der Schönen Müllerin demonstrierte. Auch im Großen Saal des Wiener Musikvereins - dem dafür sicherlich nicht allergeeignetsten Ort - setzte der Bariton auf Verinnerlichung und Intimität.

Zuweilen benötigte er dazu freilich den Umweg über große, rudernde Bewegungen, die dazu geeignet waren, die Konzentration zu stören. Wer sich aber auf den Gesang selber einließ, hörte jenseits der kunstvoll gespannten Phrasen nicht nur die vokalen Qualitäten, sondern ein gerüttelt Maß existenzieller Zuspitzung.

Jenseits des ausgeglichenen Schönklangs, zu dem der Sänger seine Stimme bei all ihrer Neigung zum Kehligen zu zwingen vermag, bot er - dem Spiel des Pianisten Christoph Eschenbach zum Trotz, das leider allzu oft verwaschen und nebelig klang - ein mehrdimensionales, bezwingendes Psychogramm: Die Hoffnungsschimmer im Lied Mit dem grünen Lautenbande oder in Trockne Blumen malte er unmissverständlich als Illusionen, in die sich das lyrische Ich in Goernes Darstellung mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden hineinsteigert. Und die Erlösung am Ende machte er als das kenntlich, was sie wohl bleibt: Utopie.  (Daniel Ender, DER STANDARD, 23.5.2013)