New York - Der rare Fall einer nahezu lebenslangen interpretatorischen Monogamie braucht wohl auch eine Legende, um einer Erklärung nahe gebracht werden zu können. Rosalyn Tureck war 17, als sie beim Üben angeblich in eine Art Trance fiel. Wie lange der Zustand andauerte, wusste sie nicht zu berichten. Zweifellos aber sah sie plötzlich "jene Technik vor mir, mit der ich der Vielschichtigkeit Bachs gerecht werden kann", erzählte Tureck.

Das war 1931, und das war möglicherweise jener Punkt, an dem der Tochter einer russisch-türkischen Familie klar wurde, dass sie außer Johann Sebastian Bach nicht viel mehr brauchte. "Nichts gegen Chopin. Aber bei Bach mit seinen Anforderungen, dem Reichtum und der Vielfalt, haben Sie nie das Gefühl von Ermüdung oder Überdruss."

Von ihrer klaren, polyfon orientierten Arbeit - oft mit langsamen Tempi verbunden (1999 nahm sie die Goldberg-Variationen noch einmal auf) - profitierte auch Glenn Gould, der bei ihr studiert hatte und ihren "Sinn für Ruhe" bewunderte. Rosalyn Tureck ist in der Nacht zum Freitag im Alter von 88 Jahren in ihrer Wohnung in New York gestorben. (tos/DER STANDARD, Printausgabe 21.07.2003)