Immer wenn es in den Vereinigten Staaten von Amerika um Grundsätzliches geht, wird einer ihrer Gründerväter vor den Vorhang gebeten. Am Donnerstag bemühte Barack Obama den ehrwürdigen James Madison, den Autor der Bill of Rights von 1789, um die neue Position der US-Anti-Terror-Politik zu begründen: "Keine Nation kann im fortgesetzten Kriegszustand ihre Freiheit bewahren", zitierte der US-Präsident seinen Urvorgänger im Weißen Haus. Und damit wollte er bedeuten, dass der nach dem 11. September 2001 von George W. Bush ausgerufene "Krieg gegen den Terror" nun endgültig vorbei sein soll.

Obamas Rede klang dem, was er als Präsidentschaftskandidat bereits 2008 mit Nachdruck ankündigte, verdächtig ähnlich. Und vier Jahre im Amt, so möchte man meinen, hätten doch ausreichen sollen, um diesen fortwährenden Kriegszustand bereits etwas früher zu beenden. Tatsächlich geschehen ist das nicht: Die Schließung Guantánamos, die der Präsident symbolisch mit seiner ersten Unterschrift im Amt besiegeln wollte, hat der Kongress verweigert. Den Drohnenkrieg hat Obama selbst gnadenlos eskaliert. Tausende, so schätzen NGOs, sind dabei ums Leben gekommen - ohne Anhörung, Anklage, Gerichtsverfahren.

Mit Bergpredigt ist kein Staat zu regieren

Daraus mag mindestens zweierlei zu lernen sein: Fürst Bismarck wird zum einen recht gehabt haben, als er sagte, dass mit der Bergpredigt kein Staat zu regieren sei. Und zum anderen materialisiert sich einmal mehr eine Ironie der Politik, in der deren Führungskräfte genau das Gegenteil von dem tun (müssen), was sie zuvor versprochen haben: Der Nationalist Charles de Gaulle entließ Algerien in die Unabhängigkeit, der Sozialist Gerhard Schröder erfand die Agenda 2010, der Verfassungsjurist und Friedensnobelpreisträger Barack Obama ließ Tausende ohne ordentliches Gerichtsverfahren umbringen.

Ist Guantánamo der kleinere dunkle Fleck auf der Weste des amerikanischen Präsidenten, wirft der Drohnenkrieg einen großen Schatten auf Obamas Zeit im Weißen Haus. Wenn der Präsident diesen als "gerechten Krieg" gegen die Feinde Amerikas rechtfertigt, spottet das nicht nur jeder rechtlich zulässigen Argumentation. Es lässt Obama auch als einen dastehen, der seinen Beziehungsstatus gegenüber vielen seiner Wähler von " Reserve-Messias" auf "Prinzipien-Verräter" ändern musste.

Obama ist vielfach dafür gescholten worden, dass er seinen Worten oft keine Taten folgen ließ. Diesmal musste er für Taten Worte finden, denen man über weite Strecken nur schwerlich Glauben schenken kann. Vor allem auch im Licht jener Skandale, die seine Regierung zuletzt beutelten wie die Affäre um das systematische Abhören von Journalisten. Dass Obama je eigens betonen muss, für Bürgerrechte und eine freie Presse eintreten zu wollen, war vor nicht allzu langer Zeit noch unvorstellbar.

Madison übrigens hat als Staatsziel nicht nur Freiheit ausgegeben, sondern auch Gerechtigkeit. Von der allerdings hat sich sein Nachfolger doch einigermaßen entfernt. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 25./26.5.2013)