Es ist wie immer bei solchen Besuchen: Es geht um zähnefletschend vertretene Interessenpolitik und gleichzeitig um freundlich gewählte diplomatische Floskeln, die nicht immer erstunken und erlogen sein müssen. In der Tat ist der von Li Keqiang in Berlin geprägte Begriff " Traumpaar" nicht ganz aus der Luft gegriffen. In Peking schätzt man die Deutschen, weil sie Eigenschaften haben, die unter Chinesen auch gern als die eigenen angesehen werden - seien dies Verlässlichkeit, Arbeitsamkeit oder strukturierte Planung. Und beide, aber das nur nebenbei, mögen die Österreicher, weil die nicht nur leidlich verlässlich, arbeitsam und strukturiert sind, sondern noch dazu auch mitunter gemütlich.

Eher schnell ungemütlich dagegen wird es bei Visiten hochrangiger chinesischer Besucher, sei es in Deutschland, Österreich oder anderswo, wenn es um Menschenrechte geht. Dann prallt aufeinander, was in den meisten Traumpaarungen eigentlich nicht aufeinanderprallen sollte: ausgesprochenes Unverständnis für die jeweilige Position des anderen. Und dazu, im Westen, die scharfen Vorwürfe an die eigene Adresse, die Menschenrechte für Geschäftsinteressen in China schnöde zu verhökern.

Dabei ist dieser Konflikt notwendig und folgerichtig.

Notwendig deswegen, weil es die Staaten des Westens nicht aus der Pflicht enthebt, die Dinge beim Namen zu nennen, und China gleichzeitig in die Pflicht nimmt, sich dies auch anzuhören: unterdrückte Andersdenkende, die Freiheit von Medien und Kunst, das Recht auf Unversehrtheit und faire Gerichtsverfahren bleiben nicht unerwähnt - routinemäßig vielleicht, aber eben doch.

Folgerichtig ist die Auseinandersetzung, weil darin die Sphären des westlichen Individualismus und des fernöstlichen (und kommunistischen) Kollektivismus zusammenstoßen. Die Menschenrechte sind universell gültig und jedem individuell zuordenbar. Das war für die meisten jener, die sie 1948 federführend in die UN-Charta geschrieben haben, selbstverständlich. Für Chinesen ist es noch immer unerhört.

Ein Beispiel? Die von Deutschland ins chinesische Nationalmuseum gebrachte und bis Ende 2012 laufende Ausstellung zur "Kunst der Aufklärung" dominierten Gemälde, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Darüber dachten viele chinesische Besucher gleich beim ersten Bild intensiv nach, auch mit präzisen Fragen an die westlichen Besucher der Schau.

Viel mehr aber als die Besinnung auf die deutsche Aufklärung wird der Umstand, dass der Kapitalismus letztlich eine zutiefst individualistische Veranstaltung ist, auf die chinesische Sicht der Dinge wirken. Das mögen die Realpolitiker vom Schlage Henry Kissingers und Helmut Schmidts im Blick gehabt haben - der eine, als er das Verhältnis der USA zu China normalisierte, der andere, als er sagte, dass "Handel Wandel bringt".

Zwischen dem China Maos und dem heutigen China liegen Welten; zwischen der Menschenrechtssituation damals und heute detto. Das spricht dafür, mit Peking Geschäfte zu machen und es gleichzeitig im Menschenrechtsdialog zu engagieren. Den Rest werden die 500 Millionen chinesischen Mikroblogger, die sich im Netz von der Führung de facto unkontrollierbar über die schreienden Ungerechtigkeiten des chinesischen Systems austauschen, früher oder später selbst erledigen. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 28.5.2013)