Das Doktorat ist längst nicht mehr ein Wunderwuzzi aus der Kiste, der den Weg für eine akademische Karriere ebnet. Die Zahl der Doktoranden steigt ständig im Vergleich zu den längerfristigen Stellen. Das verursacht eine starke Selektion - der Druck auf die Jungforscher steigt.

Collage: Heidi Seywald

Weniger Stellen für Einsteiger, befristete Verträge und prekäre Arbeitsbedingungen - all das trifft freilich nicht nur auf den akademischen Bereich zu. "Eine geistesaristokratische Angelegenheit" nannte der Soziologe Max Weber das Forschen und Lehren an der Hochschule, die Laufbahnen "wilde Hasards". Wolle man der inneren Berufung zum Wissenschafter folgen, müssten Unsicherheiten in Kauf genommen werden, sagte er schon 1917.

Da wären zum Beispiel die "externen Lektoren", die so extern gar nicht sind, denn schließlich sind auch sie Angestellte der Universität - für den Nachwuchs oft der Einstieg in den akademischen Bereich. "Wir sind eine Gruppe, in der sich ein hohes Prestige mit prekären Arbeitsbedingungen verbindet", sagt Thomas Schmidinger, Betriebsrat und Lektor für Politikwissenschaft an der Uni Wien.

Am Rande des Prekären

Er sei "Existenzlektor", sagt Igor Eberhard. Das Wort sei schrecklich, aber treffe den Umstand, dass man keine fixe Anstellung an der Uni hat, aber so viele Lehraufträge aneinanderreiht, wie nötig ist, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das seien meist vier bis fünf. Eberhard lehrt am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien und schreibt seine Doktorarbeit.

Nebenher arbeitet er als freier Journalist. Mit dem Zusammenstückeln verschiedener Jobs komme er auf ein annehmbares Einkommen, eine Perspektive sei das aber nicht. "Man kann nicht ewig am Rande des Prekären leben", sagt er im Hinblick auf Familienplanung. "Ich bin keine Ausnahme, ich kenne ältere Kollegen in dieser Situation, die das viele Jahre machen und die es zermürbt."

2011 arbeiteten 8,7 Prozent des wissenschaftlichen Korpus an Österreichs Hochschulen in Teilzeit. Das Gros der Mitarbeiter ist unselbstständig beschäftigt, auf Zeit. Fast die Hälfte (48 Prozent) des Lehr- und Forschungspersonals sind Uni- und wissenschaftliche Assistenten.

Die Anfänger unter ihnen sind die Prädocs, die meist auf vier Jahre beschränkte Teilzeitanstellungen haben. In der Regel halten sie Lehrveranstaltungen und sollen auch ihre Dissertation verfassen. Schon hier greift die Kettenvertragsregelung, nach der befristete Anstellungen nicht länger als acht Jahre durchgehend vergeben werden dürfen. In der Praxis führt dies paradoxerweise nicht zum Schutz des Arbeitnehmers, sondern zwingt Lehrende, zu pausieren oder eine andere Uni zu suchen. Zwar habe sich die Situation für Doktoranden in den letzten zehn Jahren stark verbessert, meint Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschaftsfonds WWTF, doch nach ein paar Jahren als Postdoc würde es eng. "Auch ist es für Jungwissenschafter schwer, nach ein paar Auslandsjahren zurückzukehren."

Es ist nicht leicht, die Lage der angestellten Doktoranden international zu vergleichen. Generell lässt sich sagen, dass in Österreich die Nachwuchsphase früher beginnt und später endet als an englischen, französischen und US-amerikanischen Universitäten. Dort kann man in der Regel erst mit der Promotion eine reguläre Stelle an der Uni erlangen, immer häufiger sogar erst nach einer gewissen Zeit als Postdoc. Danach werden aber mit dem Eintreten in eine Junior-Staff-Position, im Gegensatz zu hierzulande, die vollen Mitgliedschaftsrechte gewährt.

"Die befristete Teilzeitanstellung ist prinzipiell Ausbeutung", sagt Bernd Brabec, Uni-Assistent am Zentrum für Systematische Musikwissenschaft der Uni Graz. Die Teilzeitbeschäftigten kämen nicht um eine 40-Stunden-Woche umhin, sonst reiche ihre Qualifikation für eine Weiterbewerbung nicht aus.

Brabec befindet sich selbst in einem eigenartigen Anstellungsverhältnis mit der Uni Graz. Nachdem er innerhalb einer Prädoc-Stelle promovierte, arbeitet er nun als "Uni-Assistent ohne Doktorat". "Ich werde als Magister bezahlt, werde aber in Lehrveranstaltungen eingesetzt, die das Doktorat voraussetzen. Gerecht ist das jedenfalls nicht", kritisiert er. Er sei damit aber keine Ausnahme. "Eine Verwahrlosungskultur" nennt es Roman Seidl und spricht vom Druck, als Prädoc mehr zu lehren als vorgesehen. Vorher Uni-Assistent der TU Wien ist Seidl deshalb nun in einem Doktoratskolleg in Graz.

Ein enger Hals, ein dicker Bauch

Ein steigender Anteil der befristeten Jobs an den Hochschulen wird durch Drittmittelprojekte finanziert. Darin sieht Maximilian Fochler, Soziologe am Institut für Wissenschaftsforschung der Uni Wien, auch Positives. Das schaffe viele interessante Arbeitsstellen für junge Menschen. Vor allem in der Krise sei die Hochschule, was ihre Kernstellen betrifft, aber immer konservativer geworden, so entstehe ein Übergangsproblem. "Wir können diese Gruppe an temporär Beschäftigten nicht auffangen."

Eine vernünftige "Balance" zwischen befristeten Forschern und Festangestellten brauche es, sagt Reinhard Kreckel, Soziologe an der Uni Halle. In Deutschland ebenso wie in Österreich und der Schweiz werde der Übergang vom Mittelbau zur Professur immer mehr zu einem "Flaschenhals", vor dem sich die ständig wachsende Zahl von befristeten Assistenten und Drittmittelbeschäftigten staue: "Nun wölbt sich ein riesiger Bauch von hochqualifizierten und motivierten Leuten."

Dennoch lässt sich die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht auf die einfache Formel "Alles ist schlechter geworden" bringen, sagt Ulrike Felt, Professorin für Wissenschaftsforschung an der Universität Wien. "Die Situation hat sich gleichzeitig verschlechtert und verbessert", meint sie. Denn erst seit den 1990er-Jahren habe eine massive Förderung von Dissertanten eingesetzt, zuvor gab es kaum bezahlte Stellen.

Gleichzeitig ist die Zahl der Doktoranden im Vergleich zu den vorhandenen Positionen enorm gestiegen, zunehmend promovieren auch Frauen. Dies ist ein internationales Phänomen, in Österreich verstärkt es sich, weil das Studium kaum beschränkt ist. "Dadurch entsteht ein Selektionsphänomen", meint Felt. Ein Doktor ist keine Eintrittskarte mehr in die Berufswelt der akademischen Forschung.

Die Vorstellung, das Doktorat sei der gemächliche erste Schritt der Uni- Laufbahn, nennt Kreckel das "alteuropäische Lehrlingsmodell". Der internationale Trend gehe dahin, dass Doktoranden als Studenten gesehen würden. Christoph Badelt, langjähriger Rektor der Wirtschaftsuni Wien, stellt fest, dass der Anspruch an Jungwissenschafter signifikant gestiegen sei. "Wenn sich der Trend so fortsetzt, kann ich mir gar nicht vorstellen, wo das hinführen könnte."

Das gesamte System Hochschule verändert sich. Mit der Dienstrechtsreform von 2001, den Universitätsgesetznovellen von 2002 und 2009 sowie dem Kollektivvertrag von 2009 wurden massive Veränderungen eingeleitet, deren Folgen noch lange nicht absehbar sind. "Das Uni-Personal in Österreich ist wie ein Baum mit Altersringen. Es sind viele noch da, die es vor zehn Jahren auch schon gegeben hat und die sich nicht sehr verändert haben", sagt Kreckel. Im System Uni brauche es Jahre, bis Reformen ihre Wirkung zeigen.

Die Umsetzung des Kollektivvertrags spiegle die Wertigkeit des Systems wider, sagt Fochler: "Hier gibt es oft einen Elitediskurs, der auf das Ziel Professur zusteuert. Der Mittelbau ist uns ziemlich abhandengekommen." Er sieht vor allem ein Problem: "Es herrscht Tunnelblick." Jungwissenschafter müssten sich dessen bewusst werden, dass ihre Kompetenzen sie auch für ein Leben außerhalb des akademischen Bereichs qualifizieren. Es liege auch in der Verantwortung der Universitäten, dies zu fördern. (Louise Beltzung Horvath, Julia Grillmayr, Tanja Traxler/DER STANDARD, 29. 5. 2013)