DER STANDARD bat etablierte Forscher, die in den vergangenen Jahren mit der höchsten Auszeichnung für Wissenschafter in Österreich, dem Wittgensteinpreis, ausgezeichnet wurden, einen ihrer Favoriten zu nennen. Wir befragten die jungen Talente nach ihrer Laufbahn, ihren Projekten und Visionen

Renée Schroeder wählt:

Julius Brennecke, Molekularbiologe im Reich der Fliegen

Manchem wird die Liebe zu einer bestimmten Wissenschaft geradezu in die Wiege gelegt. Bei Julius Brennecke war es die Biologie. Der 1975 in München geborene Deutsche wuchs in Jasberg, einem Weiler in der Nähe der oberbayerischen Kurstadt Bad Tölz, auf. Wälder und Wiesen überall, eine Kindheit auf dem Lande, und die Mutter war zudem noch Biologin. Nach der Schule wollte Brennecke Biochemie studieren, doch dafür reichten seine Noten nicht aus - die meisten Hochschulen hatten für dieses Fach einen sehr hohen Numerus clausus angesetzt. So zog es Brennecke an die Universität Heidelberg, um sich dort für Biologie zu immatrikulieren. Eine gute Entscheidung, wie er im Nachhinein betont. "Das Schöne am Biologiestudium ist, dass es eine sehr breite Ausbildung ist." Und somit eine hervorragende Grundlage für die spätere akademische Laufbahn.

Die erste große Chance bot sich Brennecke noch während seiner Studienzeit. Durch einen Freund der Familie bekam er Gelegenheit, an einem Feldforschungsprojekt des US-Evolutionsexperten Dave Anderson auf den Galapagosinseln teilzunehmen. Weitere Forschungsreisen führten den jungen Wissenschafter später in die ostafrikanische Serengeti und nochmals auf die Galapagosinseln. Trotzdem entschied er sich für die Fachrichtung Molekularbiologie. "Es ist eine besondere Faszination, biologische Phänomene an molekulare Strukturen anknüpfen zu können."

Brennecke verfasste seine Diplomarbeit im Jahr 2000 am renommierten European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg und promovierte später dort zum Thema MicroRNAs in Drosophila. Die winzigen Taufliegen sind für ihn noch heute ein hervorragender Modellorganismus für das Untersuchen genetischer Prozesse. Nach einem Forschungsaufenthalt an den Cold Spring Harbor Laboratories in den USA wurde Brennecke 2009 als leitender Forscher ans Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien berufen. Sein Thema: piRNA, eine Art genetisches Immunsystem. Der Campus sei eine der besten molekularbiologischen Forschungsumgebungen in Europa, betont er. "Es gibt nur wenige Plätze, wo man so gut eine neue Arbeitsgruppe aufbauen kann." (deswa)


  • Renée Schroeder, geb. 1953, forscht am Department für Biochemie der Max F. Perutz Laboratories in Wien.
Foto: STANDARD/Corn

Rudolf Grimm wählt:

Doris Braun - die Pharmazeutin züchtet Kristalle

Für das Auge ist der Unterschied deutlich: auf der einen Seite ein schwarzer, brüchiger Mineralklumpen und auf der anderen ein farbloser, glitzernder Kristall, bekannt als der edelste und härteste aller Stoffe - Grafit und Diamant. Doch in ihrer chemischen Zusammensetzung sind beide gleich, nur die Anordnung der Kohlenstoffatome ist unterschiedlich. Das sei das anschauliche "Extrembeispiel" für das Phänomen der Polymorphie, an dem sie arbeitet, erklärt die junge Forscherin Doris Braun.

Die gebürtige Vorarlbergerin hat an der Universität Innsbruck Pharmazie studiert, im Jahr 2008 verfasste sie dort ihre Doktorarbeit zum Thema " Festkörpereigenschaften von Arzneistoffen". Heute untersucht Braun im Rahmen eines Hertha-Firnberg-Stipendiums die Bildung, Struktur und Stabilität von Arzneistoff-Hydraten, also Verbindungen, die Wasser in das Kristallgitter einbauen.

Denn Feuchtigkeit kann den Kristallbau und damit die Löslichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten im menschlichen Körper stark verändern. Trotz gleicher chemischer Zusammensetzung - wie bei Grafit und Diamant - kann auch hier die Anordnung der Moleküle zu entscheidenden Materialunterschieden führen und damit für die Entwicklung neuer Arzneien maßgeblich sein.

"Wir versuchen, die Kristallform mit den besten Eigenschaften zu finden. Darüber hinaus will ich verstehen, wieso in manchen Verbindungen Wasser eingeschlossen wird und in anderen nicht", sagt Braun. Hydratbildung wird bei etwa einem Drittel aller Arzneistoffe beobachtet. Ziel ist, Verarbeitungsprobleme zu vermeiden, die Entwicklungszeit zu verkürzen und letztlich die hohen Qualitätsstandards von Medikamenten zu wahren.

Um die Strukturen von Arzneistoffen zu untersuchen, züchtet Braun im Labor Kristalle in der Größe von 0,05 bis 0,5 Millimeter. Am University College London, das sie im Jahr 2009 im Rahmen eines Erwin-Schrödinger- Auslandsstipendiums besuchte, lernte Braun, die Kristallstrukturen mittels Computersimulation vorherzusagen - was sie nun auch in Innsbruck nutzt. Ihr Stipendium läuft noch bis ins Jahr 2015. Danach will die 32- Jährige um eine weiterführende Förderung ansuchen - und sich auf ihre Habilitation vorbereiten. (mika)


  • Rudolf Grimm, geb. 1961 in Mannheim, ist Experimentalphysiker an der Uni Innsbruck und Direktor des ÖAW-Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation.
Foto: ECHO/Andreas Friedle

Barry Dickson wählt:

Kristin Tessmar-Raible, die Neurobiologin auf der Spur der inneren Uhr

Schon als Kind hatte Kristin Tessmar-Raible ein Interesse für alles, was kreucht und fleucht. Sie nutzte die Speisekammer des elterlichen Hauses in Zittau, damals DDR, als Zuchtstation für Kellerasseln. Heute hortet die Neurobiologin im Keller der Wiener Max F. Perutz Laboratories (MFPL) Borstenwürmer und Fische. Die 35-jährige Gruppenleiterin erforscht innere Uhren, also welche Mechanismen im Organismus eine Reaktion auf den Wechsel von Jahreszeiten, Mondphasen und Tag und Nacht hervorrufen.

Begonnen hat alles mit dem marinen Wurm Platynereis dumerilii. Das Mondlicht synchronisiert Männchen und Weibchen, sodass alle zum richtigen Zeitpunkt zur Paarung bereit sind. Erst kürzlich hat sich herausgestellt, dass die Würmer über eine tägliche Sonnenuhr wie auch über eine monatliche Monduhr verfügen, die miteinander in Kontakt sind.

Auf der Suche nach den Molekülen, die das innere Uhrwerk von Meerestieren antreiben, stieß Tessmar-Raible auf Lichtrezeptoren, die direkt im Gehirn aktiv sind, und zwar auch bei Wirbeltieren wie Fischen. " Normalerweise wird Licht über spezialisierte Zellen, sogenannte Fotorezeptoren, wahrgenommen. Wir haben herausgefunden, dass auch jene Neuronen, die im Gehirn eigentlich die Informationen verarbeiten, auf Licht reagieren", schildert Tessmar-Raible aktuelle Ergebnisse. "Man könnte also vermuten: Wie ich denke, hängt davon ab, wie das Licht in meiner Umgebung ist." Inwieweit diese Neuronen das menschliche Denken beeinflussen, ist noch unklar. Vorerst versuchen Tessmar-Raible und ihr Team die lichtempfänglichen Neuronen im Gehirn von Fischen zu mutieren, um zu sehen, wie sich das auf ihr Verhalten auswirkt.

Seit 2008 forscht die Start-Preisträgerin und zweifache Mutter in Wien. Nach dem Studium in Heidelberg und Marburg und Forschungsstationen an der Harvard Medical School in Boston, in Cambridge und San Francisco folgte sie dem Ruf ans MFPL - gemeinsam mit ihrem Mann. Auch wenn es mitunter schwer sei, Karriere und Familienleben auszutarieren, ist sie sicher: "Ich würde es genauso wieder machen." Was die Zukunft betrifft, will sie sich nicht festlegen: "Ach, als Wissenschafter hängt man nie an einer Stadt. Wichtig sind gute Forschungsbedingungen." (kri)


  • Barry Dickson, geb. 1962 in Melbourne, ist Senior Scientist am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, ab Herbst an der Janilia Farm in den USA.
Foto: STANDARD/Corn

Ruth Wodak wählt:

Bernhard Forchtner - der Soziologe untersucht rechte Ökodiskurse

Es war der Auslandszivildienst, der Bernhard Forchtner nachhaltig geprägt hat - sowohl wissenschaftlich als auch privat. Nach einer technischen Ausbildung am TGM in Wien und zwei Semestern VWL, Geschichte und Politikwissenschaften entschloss er sich, etwas ganz anderes zu machen, und ging für 14 Monate nach Stutovo (dt. Stutthof), nahe Danzig, um in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers zu arbeiten. Dort lernte er seine aus Deutschland stammende künftige Frau kennen. Gemeinsam zogen sie nach Berlin, wo Forchtner am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität noch einmal von vorn zu studieren begann. "Diesmal hat es besser funktioniert. Ich war ein Jahr älter und hatte eine erweiterte Perspektive", sagt Forchtner. Kurz nach der Ankunft in Berlin kam der erste Sohn zur Welt, heute hat der 32- Jährige drei Kinder.

Nach einem Auslandsaufenthalt in Kopenhagen und vier Jahren Doktoratsstudium an der britischen Universität Lancaster - stets mit der ganzen Familie - ist Forchtner mithilfe eines von der EU finanzierten Marie-Curie-Stipendiums wieder an der Humboldt-Universität gelandet. Dort erforscht er, wie Gruppierungen am rechten Rand mit ökologischen Themen umgehen. Für seine Diskursanalysen nimmt er sich rechte Mainstream-Parteien, einschlägige Medien und radikale Gruppen in der Schweiz, Österreich und Deutschland vor. "Es hat sich gezeigt, dass rechte Parteien, egal ob sie moderat oder radikal sind, ein Problem mit den neuen Umweltthemen haben", berichtet Forchtner über aktuelle Ergebnisse. Ging es bei früheren Problemen wie etwa der Verschandelung von Landschaften oder dem Bau von Kläranlagen um begrenzte Phänomene, sind derzeitige Ökothemen wie der Klimawandel grenzüberschreitend. " Damit wird die Souveränität des Staates hinterfragt, was dazu führt, dass rechte Gruppierungen diese Probleme leugnen oder verharmlosen."

Die Zukunft nach dem zweijährigen EU-Stipendium ist offen, ebenso ob er irgendwann wieder nach Wien zurückkehren wird. "Ich werde mich wieder für ein Stipendium bewerben", sagt er. Nichtsdestotrotz verfolgt Bernhard Forchtner, der derzeit halbtags in Elternzeit ist, weiterhin die österreichische Politik - und nicht zuletzt die Spiele des FC Vienna. (kri)


  • Ruth Wodak, geb. 1950 in London, ist Professorin für Sprachwissenschaften an der Universität Wien und an der Lancaster University.
Foto: privat

Gerhard Widmer wählt:

Manuel Kauers - der Informatiker bringt Computern Algebra bei

Ein Mathematikehrer, der sagt, dass der Taschenrechner nicht zu gebrauchen sei, weil er keine exakten Ergebnisse liefert und nur ein paar Kommastellen bei der Wurzel aus zwei ausspuckt, wurde für Manuel Kauers zur Inspiration. Schon als Schüler schrieb er Computerprogramme, die Rechenergebnisse möglichst exakt ausgaben. "Dass das ein eigenes Forschungsgebiet ist, wusste ich damals noch nicht", sagt der mittlerweile 34-Jährige.

Heute sei es "eine typische Situation", dass sich ein Mathematiker irgendwo auf der Welt per Mail an ihn wende, der bei einer Formel nicht weiterkommt. Kauers wirft dann an seinem Arbeitsplatz im Research Institute for Symbolic Computation (Risc) der Johannes-Kepler- Universität Linz, wo er seit dem Jahr 2002 forscht, den Computer an, um zu sehen, ob er etwas ausrichten und die Formel vereinfachen kann. " Manchmal kann ich nicht helfen, und manchmal komme ich innerhalb von ein paar Minuten zu einem Ergebnis."

"Richtige Mathematik" ist es für den in Lahnstein am Mittelrhein aufgewachsenen Deutschen erst, wenn man mit Standardmethoden und systematischen Lösungsansätzen nicht weiterkommt, wenn man kreativ und individuell eine Lösung finden muss. Kauers beschäftigt sich damit, wie Computer bei algebraischen Problemen, komplexen Rekurrenz- oder Differenzialgleichungen, helfen können.

Computer seien zwar gut im Rechnen, in der Computeralgebra müsse man ihnen aber beibringen, variabellastige Ausdrücke zu durchschauen und Gleichungen symbolisch zu lösen. Im Bereich der experimentellen Mathematik verwendet Kauers den Computer, um in den Daten, die ein Problem beschreiben, systematisch Muster zu suchen, die einen Lösungsweg nahelegen. "Entdeckt man, dass eine Gleichung gilt, kann ich dann darüber nachdenken, warum das so ist."

Kauers hat 2009 einen Start-Preis des Wissenschaftsfonds erhalten. Derzeit ist er auf der Suche nach einer Professorenstelle - "eine langwierige Geschichte", weil sein Gebiet nicht an allen Unis vertreten ist. "Ich darf nicht wählerisch sein, wo das ist", sagt Kauers. Sollte sich in den nächsten Jahren im deutschsprachigen Raum nichts ergeben, will er im größeren Umkreis suchen. Besonders in Kanada gebe es große Gruppen, die sich seinem Gebiet widmen. (pum)


  • Gerhard Widmer, geboren 1961 in Dornbirn, ist Professor für Informatik am Department of Computational Perception an der Johannes-Kepler- Universität Linz.
Foto: RISC/Kauers

Jan-Michael Peters wählt:

Claudine Kraft - die Biologin beobachtet die zelluläre Müllabfuhr

Wenn Claudine Kraft im Labor steht und an Hefezellen experimentiert, hat sie dabei das Bild eines kleinen Dorfes im Kopf. Kraft untersucht Abbauprozesse in Zellen. Und wie in einer geordneten Stadtverwaltung gibt es dabei mehrere Akteure: einer, der den Abfall verpackt, ein anderer, der ihn zum Abtransport bringt, und ein dritter, der den Müll schließlich wegführt. "Wir kennen die einzelnen Spieler sehr gut", sagt Kraft, "aber wir wissen nicht genau, was sie machen."

Vor zwei Jahren bekam die gebürtige Schweizerin die Möglichkeit, an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und der Med-Uni Wien eine eigene Gruppe aufzubauen. Mittlerweile ist diese auf sieben Köpfe angewachsen - von Studierenden bis zu Postdocs. In ihrem Fokus steht derzeit der Prozess, wie der bereits verpackte Abfall zum Abtransport gebracht wird. Metaphorisch gefragt: "Wird ein Abfallkübel oder eine Scheibtruhe dafür verwendet?"

Dass es spezielle Abbauprozesse in der Zelle gibt, weiß man schon seit 80 Jahren, doch lange hat sich niemand dafür interessiert. "Die Forscher dachten: Dabei geht es ja nur um Abfallentsorgung", meint Kraft. Vor 15 Jahren hat man herausgefunden, dass ein Zusammenhang zwischen diesem Prozess und Parkinson besteht - seither boomt das Thema. Die Pharma- Industrie verspricht sich zudem wertvolle Beiträge zur Behandlung von Alzheimer.

Zurzeit studiert Kraft die Abbauprozesse anhand der Hefezelle. Ihre Zukunftsvision ist es jedoch, mit dem dadurch gewonnenen Wissen höhere Organismen analysieren zu können. Schon in wenigen Jahren könnte sie so weit sein, Aussagen über das Entsorgungssystem menschlicher Zellen machen zu können.

Welche großen Fragen die Molekularbiologie in den kommenden Jahren noch lösen wird, lasse sich nicht vorhersehen. "Die Wissenschaft beruht auf Zufällen, zu Entdeckungen kommt es primär durch verrückte Leute, die verrückte Ideen haben", meint sie. Wenn die 34-jährige Biologin einmal am Wochenende ins Labor geht, wird sie dabei gerne von ihrem fünfjährigen Sohn begleitet. Dem gefällt es, mit den herumstehenden Fläschchen zu hantieren oder die Zellkulturen zu inspizieren. Ihre zweijährige Tochter ist dafür zu klein - noch. (trat)


  • Jan-Michael Peters, geboren 1962 in Heide (Norddeutschland), ist Molekularbiologe und stellvertretender Direktor am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien.
Foto: STANDARD/Corn

Jörg Schmiedmayer wählt:

Sebastian Diehl - der Quantenphysiker studiert Grenzfälle

Zwar ist die Quantenmechanik derzeit eines der größten Forschungsfelder der Physik, dennoch gibt es noch fundamentale Bereiche, die gänzlich unerforscht sind. Mit seinem derzeit laufenden Start-Projekt leistet Sebastian Diehl Pionierarbeit und beschäftigt sich mit der Schnittstelle von Quantenphysik und Thermodynamik.

Als theoretischem Physiker geht es ihm dabei darum, "eine geeignete Sprache" zu finden, um Grenzphänomene zu beschreiben, das heißt, einen Formalismus zu schaffen, der zwischen den beiden Feldern vermittelt und die Methoden beider Gebiete kombiniert und ausbaut.

Typischerweise werden vor allem Quantensysteme untersucht, die sich im thermodynamischen Gleichgewicht befinden, die also keinen Temperatur- oder Druckänderungen ausgesetzt sind. Bei den Systemen, die Diehl betrachtet, handelt es sich um Vielteilchen-Systeme, die fernab von Gleichgewicht sind. Solche Systeme treten natürlich auf - etwa wenn Licht und Materie miteinander interagieren. "Wir suchen nach neuen physikalischen Phänomenen, die keinen direkten Gegenpart in der Physik des Gleichgewichts haben", sagt Diehl. So konnte er vor kurzem mit seinem Forschungsteam zeigen, dass ein System, in dem Licht an einen Halbleiter gekoppelt ist, kritisches Verhalten zeigt, das so im Gleichgewichtszustand nicht auftritt.

Von kritischem Verhalten sprechen Physiker bei Systemen nahe von Phasenübergängen. Ein Beispiel dafür aus der klassischen Physik ist ein Magnet: Wenn er stark erhitzt wird, geht der Magnetismus schlagartig verloren. "Nun diskutieren wir mit Experimentalphysikern, wie dieses Phänomen beobachtet werden kann." In seiner Arbeit setzt Diehl auf eine " Doppelstrategie": Ihn interessiert die theoretische Beschreibung ebenso wie Experimente, in denen die Vorhersagen überprüft werden können.

Üblicherweise legen Physiker mehrere Postdoc-Stationen ein, doch Sebastian Diehl hat seine erste Stelle in Innsbruck gleich so gut gefallen, dass der gebürtige Deutsche geblieben ist. Seit 2011 ist er nun Assistenzprofessor an der Universität Innsbruck - hier genießt der 34-Jährige nicht nur das Forschungsumfeld, sondern auch die Natur. Im Winter geht er gerne Ski fahren und im Sommer "wandern light, denn ich bin nicht so der Kraxler". (trat)


  • Jörg Schmiedmayer, geboren 1960 in Wien, ist Professor für Quantenphysik und Vorstand des Atominstituts der Technischen Universität Wien.
Foto: privat

Serdar Sariçiftçi wählt:

Martin Kaltenbrunner - der Physiker kreiert ultradünne Elektronik

Als Martin Kaltenbrunner zum ersten Mal für einen Forschungsaufenthalt nach Japan ging, bebte die Erde. Durch den Tsunami vom 11. März 2011 und den katastrophalen Reaktorunfall in Fukushima kam es in Tokio zu großflächigen Stromausfällen. Auch das Sekitani-Someya-Lab an der Universität Tokio, in dem Kaltenbrunner derzeit wieder arbeitet, musste für einige Zeit zusperren. "Heute merkt man nichts mehr davon. Die Leute reden nicht gern darüber", sagt der 30-jährige Physiker, der an der Universität Linz studiert hat.

In Linz und Tokio tüftelt er an ultradünnen, dehnbaren Folien aus organischen Materialien, die mit elektronischen Komponenten gespickt sind. Organische Elektronik aus Kunststoffpolymeren könnte in vielen Bereichen die teurere Silizium-basierte Elektronik ersetzen. "Egal ob Solarzellen, Sensoren oder LEDs - Ziel ist es, dass die Folien auf jeder beliebigen Oberfläche angebracht werden können", erklärt Kaltenbrunner. Die Anwendungsmöglichkeiten sind dementsprechend breit: Die Folien, die gerade vier Gramm pro Quadratmeter wiegen, könnten in der Unterhaltungselektronik eingesetzt werden, zum Aufladen von Geräten im Outdoor-Berich, für medizinische Sensoren, die direkt am oder im Körper Messwerte sammeln, oder um kleine Roboter-Insekten mit Energie zu speisen - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. "Sogar die Nasa ist an unseren Entwicklungen interessiert", erzählt Martin Kaltenbrunner.

Für alles Technische hat sich der Oberösterreicher, der in Grünau im Almtal aufwuchs, schon früh begeistert. Nach dem Gymnasium in Kirchdorf besuchte er die HTL für Elektrotechnik in Wels. Dann ging es nach Linz, wo er Technische Physik studierte. Dort hat ihn vor allem sein nunmehriger Chef, Siegfried Bauer von der Abteilung für Physik der Weichen Materie, mit seinem Enthusiasmus mitgerissen. "Ich konnte schon bald nach Studienbeginn im Labor praktische Erfahrungen sammeln. Das hat es viel leichter gemacht."

Seit einem Jahr pendelt Martin Kaltenbrunner zwischen Tokio und Linz, vorerst plant er, ein weiteres Jahr zu bleiben. "Dann ergibt sich hoffentlich etwas Fixeres." Nachdem seine Frau nun nachgekommen ist, macht es jedenfalls noch mehr Spaß, die faszinierende Megastadt zu erkunden. (kri)


  • Serdar Sariçiftçi, geb. 1961 in Konya in der Türkei, leitet an der Johannes-Kepler-Universität Linz das Institut für Physikalische Chemie sowie das Institut für Organische Solarzellen (LIOS).

(DER STANDARD, 28.03.2013)

Foto: Universität Tokio