Die alte Lady und ihre Wohltäterin: Dree Hemingway (re.) und Besedka Johnson als ungewöhnliches Gespann in Sean Bakers US-Independentfilm "Starlet".

Foto: Rapid Eye Films

 Ein Film, der feinsinnige Beobachtungsgabe über formelhaftes Feelgood-Kino stellt.

Wien - Städtische Räume bringen es mit sich, dass unterschiedliche Generationen oft dicht beieinander zu finden sind, ohne sich in die Quere zu kommen. In Sean Bakers Starlet wird diese letzte Kluft mit lockerer Hand überwunden und zur Basis einer freundschaftlichen Annäherung. Die beiden Figuren trennt altersmäßig rund ein halbes Jahrhundert, dementsprechend verschieden sind nicht nur ihre Lebenswelten, sondern auch ihre täglichen Routinen im (und Blickweisen auf das) San Fernando Valley von Los Angeles, jenem flachen, hitzegeplagten und von Malls und Chain-Restaurants charakterisierten Teil der Millionenmetropole.

Deutlich wird dies schon in einem der ersten Dialoge zwischen der 21- jährigen Tess (verkörpert von Dree Hemingway, der Großenkelin des Schriftstellers) und Sadie (Besedka Johnson), einer zurückgezogen, allein lebenden Frau. Wie sie denn den ganzen Tag so verbringe, fragt Tess da und fügt mit der ihr eigenen Unverblümtheit gleich hinzu, dass sie gern mit ihrem Hund spazieren gehe oder faul im Gras liege. "Ich geh einmal die Woche Bingo spielen", zischt Sadie zurück. "Trifft das Ihre Idee von Freizeit?"

Tess ist Nachwuchsschauspielerin, hat gegenwärtig allerdings nur als Pornodarstellerin Engagements - etwas, das sie vor Sadie geheim hält. Der alten Frau ist sie aus einem schlechten Gewissen heraus zugetan. Sie hat ihr beim Flohmarkt eine Thermoskanne abgekauft und darin fast 10.000 Dollar gefunden. Die Rückerstattung folgt nun indirekt dadurch, dass sie Sadie als Einkaufshilfe unterstützt oder unangekündigt in der Bingo-Spielhalle auftaucht und die Nähe der anfangs unwirschen, verschlossenen Frau sucht.

Starlet baut damit auf einem ganz schlichten erzählerischen Fundament auf; Baker - er hat bereits drei andere Filme und eine TV-Serie mit Stoffhasen, Greg the Bunny, realisiert - demonstriert jedoch eindrucksvoll, dass es weniger auf die Handlung als auf die Nuancen und Details von Beschreibungen ankommt. Die Milieus sind in dem Film äußerst stimmig getroffen, beinahe überspitzt ist die Perspektive, ohne Herablassung - eine Szene, in der eine Pornodarstellerin mit aller Zeit der Welt einen mäßig lustigen Witz in den Sand setzt, ist nur ein Beispiel dafür.

Vor allem in Tess hat Baker eine Figur geschaffen, deren grazile Unbekümmertheit wie ein Zauber wirkt: Weder ihre dümmlichen Wohnungskollegen aus der "Kreativbranche", die sich mit Videospielen und Drogen stimulieren, noch das Porno-Business hinterlassen bei ihr Trübungen; naiv erscheint sie deshalb jedoch nicht. Hemingway wurde für ihre Darstellung zu Recht als Newcomerin gefeiert.

Besedka Johnson, die in Starlet ihre erste Rolle gespielt hat und im April überraschend gestorben ist, verleiht ihrem Part dagegen die Abgebrühtheit eines Menschen, der sich nicht mehr viel erwartet. Auch hier überzeugt das Ambiente: Die zerfurchten Gesichter beim Bingo sind so real wie die längst geschlossenen Tierkäfige des Zoos, in den Sadie einst ihr Mann ausgeführt hat.

Nicht zuletzt reichern Baker und sein Kameramann Radium Cheung den Film mit von reflektierenden Sonnenstrahlen sanft orange gefärbten Breitwandbildern an. In diesen bleiben den beiden Frauen bis zuletzt genug Freiräume. Dass ihr wachsendes Nahverhältnis analog zu einem verwandtschaftlichen Band entworfen ist oder die jüngere sich möglicherweise sogar in der älteren widerspiegelt, belässt der Film als Andeutung - ganz ohne Sentimentalitäten. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 1.6.2013)