Der Dichter Michail Bulgakow durfte sich seiner Existenz als Künstler der Sowjetunion kaum jemals erfreuen. "Das hündische Herz" nimmt die neue Gesellschaftsordnung aufs Korn.

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Wien - Der Held der vielleicht schärfsten aller Sowjetsatiren führt tatsächlich ein Hundeleben. Man schreibt das Jahr 1924. Lumpi ist eine Promenadenmischung vom Moskauer Stadtrand. Streuner wie er haben von den Vertretern der Sowjetmacht nichts Gutes zu erwarten. Der rohe Kantinenwirt einer volkseigenen Küche verbrüht dem Vieh die Flanke, bloß weil es im Abfall wühlt.

Da trifft es sich gut, dass ein gänzlich unproletarisch wirkender Herr sich des Rüden annimmt. Lumpi findet Aufnahme in der geräumigen Wohnung des Chirurgen Preobraschenski. Noch ahnt das gute Tier nichts Böses. Sein Wohnherr sucht mit fieberhaftem Eifer nach dem Hormon, das Jugend schenkt.

Der Chirurg, ein sangesfreudiger Bürger, dem Wein und guten Fischgerichten zugetan, setzt dem aufgeschnittenen Kopf von Lumpi eine neue Hypophyse ein. Zu Deutsch: Hirnanhangsdrüse. Und so mag es nicht verwundern, dass der Kurzroman Das hündische Herz des großen Michail Bulgakow (1891-1940) bereits 1925 nicht zum Abdruck freigegeben wurde. Das einflussreiche ZK-Mitglied Leo Kamenew sprach von einer "ätzenden Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse". Dem Funktionär ist unbedingt recht zu geben.

Binnen weniger Tage verwandelt sich der durchschnittliche Straßenhund in einen Musterproletarier: Fell und Schwanz fallen von ihm ab, er lernt auf den Hinterbeinen zu gehen. Der findige Professor hatte sich der Hypophyse eines verstorbenen Kneipensängers bedient. Das aus der Kreuzung von Mensch und Tier entstandene Wesen verkörpert alle Tugenden des neuen, sowjetischen Menschenschlags. Das erste vollständig artikulierte Wort des Homunkulus lautet: "Kneipe!"

Die hoffnungsfrohe Kreatur versteht sich bald vortrefflich auf die Kunst der Pöbelei. Und sie lässt sich von den unbedarften Genossen des Hausausschusses in die Gepflogenheiten des Sowjetstaates einweihen. Jedes Ding hat seinen Namen, umso eher braucht auch der Mensch einen solchen. Lumpi wird zu "Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow". Er macht als dumpfer, kulturloser Funktionär im Handumdrehen Karriere. Er darf als "Vorsitzender der Unterabteilung der Bereinigung" in Moskau streunenden Katzen nachjagen.

Auch das Schicksal des Hündische Herzens - des Textes - ist ein typisch sowjetisches. Bulgakow sah sich zeit seines kurzen Lebens den Nachstellungen durch die kommunistische Partei ausgesetzt. Diese frühe Erzählung enthält bereits wichtige Merkmale seiner in dem Roman Meister und Margarita kulminierenden Kunst. Bulgakow wechselt atemlos die Erzählperspektive. Die Schnitttechnik erinnert an den großen Filmmonteur Sergei Eisenstein.

Konsonanten knirschen

Zum anderen gelangte das Hundeherz posthum über Umwege in den Westen. Erste Fassungen und Übersetzungen entpuppten sich als fehlerhafte Bearbeitungen. Der vor keiner manieristischen Klangwirkung zurückschreckende Übersetzer Alexander Nitzberg hat eines der überlieferten Originaltyposkripte seiner Neufassung zugrunde gelegt. Und es tut sich in der Tat Unerhörtes in Moskau. Die Konsonanten knirschen, die Vokale folgen in den Sätzen ausgeklügelten Reihen, als hätte man es mit einem Prosagedicht zu tun.

Dieser Schlüsseltext ist, Nitzberg sei Dank, endlich in seiner ganzen, skandalösen Modernität ungeschmälert genießbar.   (Ronald Pohl, DER STANDARD, 1./2.6.2013)