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Die Spanier haben gegen die Einsparpläne der Regierung demonstriert. Auch in anderen Krisenländern gab es heftige Proteste. Der Reformeifer darf laut Experten dennoch nicht nachlassen.

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Deutsche-Bank-Experte Schneider: "Die Rallye spiegelt den Anlagenotstand der Investoren wider."

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STANDARD: Im Zuge der Euro-Schuldenkrise ist massiv Geld geflossen. Kann man sagen, dass man die Lage nun im Griff hat, oder drohen weitere Überraschungen?

Schneider: Einen Eisberg sehe ich im Moment nicht. Zu sagen, dass es keine Überraschungen geben wird, wäre naiv. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass diese Krise in ihrer Komplexität nicht zu prognostizieren ist. Analysten haben in den vergangenen Jahren immer wieder eine Abschwächung der Krise und eine konjunkturelle Erholung prognostiziert. Die ist bis jetzt nicht gekommen.

STANDARD: Einerseits wird Ländern mehr Zeit für Reformen oder Rückzahlung der Schulden gegeben. Andererseits wird mangelnder Reformeifer angeprangert. Wie beurteilen Sie diesen Zwiespalt?

Schneider: Diese Ambivalenz hat damit zu tun, dass sich die wirtschaftliche Erholung, auf die viele gehofft haben, noch nicht eingestellt hat. Insofern kann man sicher argumentieren, dass man sich mehr Zeit lässt. Die Sorge ist aber, dass durch eine Lockerung auch Reformanstrengungen reduziert werden. Das disziplinierende Element hoher Zinsen am Kapitalmarkt gibt es dank der Europäischen Zentralbank nicht mehr. Es ist nicht zufällig, dass die Reformanstrengungen der Länder bei hohen Zinsen höher sind.

STANDARD: Man könnte auch sagen, dass mittlerweile so viel Geld geflossen ist, dass sich die Geberländer einen Ausfall nicht leisten können. Besser, man lässt die Leinen etwas lockerer, hat sie aber noch in der Hand, als dass sie entgleiten ...

Schneider: Die Schmerzen sind auf allen Seiten noch nicht so groß, als dass man sich nicht mehr kompromissbereit zeigt. Man versucht, Europa und den Euro hochzuhalten. Alternativen dazu sind komplex und nicht abzuschätzen, daher hält man am Status quo fest. Regierungen fürchten sich davor, Extremlösungen anzustreben.

STANDARD: Die Börse gilt als Vorlaufindikator für die Wirtschaft. Jetzt haben wir eine Rallye gesehen, die Konjunktur kommt aber nicht in Schwung. Der Libor-Zins gilt als manipuliert; das Goldfixing wird untersucht. Haben bisherige Indikatoren ihre Gültigkeit verloren?

Schneider: Das stimmt. Die ganze Logik, mit der Geldpolitik betrieben wurde, stellt sich im Nachhinein als etwas trügerisch heraus. Die Entstehung der Krise geht auch auf eine lockere Geldpolitik zurück. Von daher muss man aufpassen, dass es jetzt nicht wieder Seiteneffekte der Geldpolitik gibt. Im Moment ist es aber so, dass die Zinsen kein reines Marktgleichgewicht darstellen. Die Rallye spiegelt daher den Anlagenotstand der Investoren wider.

STANDARD: Wird die Politik der Notenbank nun zum aussagekräftigeren Stimmungsindikator?

Schneider: Die Politik der Notenbanken ist der Treiber, der die Indikatoren beeinflusst. Der Aktienmarkt schaut im Moment weniger auf die Gewinnerwartungen der Unternehmen, sondern auf die Politik der Notenbanken.

STANDARD: In der Krisenbekämpfung fahren die Industrieländer die gleiche Politik. Damit werden auch die Probleme gleichförmiger. Bringt das mehr Schaden, als es nützt, weil es keine unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt und keine Region eine andere stützen kann?

Schneider: Ja, das könnte man sagen. Wir haben mit Ausbruch der Finanzkrise einen konjunkturellen Gleichlauf in den Industrieländern gesehen. Alle haben gleich reagiert. Das erklärt auch, warum die Weltwirtschaft nicht vom Fleck kommt. Die Hoffnung ist immer, dass die anderen helfen werden. Die haben im Moment aber die gleichen Probleme.

STANDARD: In Japan gab es in den 1990er-Jahren einen Höchststand bei der Beschäftigung. Dann ging es bergab. Europa hat jetzt den Beschäftigungshöchststand. Droht uns ein Schicksal wie Japan?

Schneider: Da ist etwas dran. Demografie war schon vor der Krise ein Thema. Alle haben gesagt, wir müssen die guten Jahre nutzen, uns demografiefest zu machen und die staatlichen Schulden zu reduzieren. Die Finanzkrise war ein massiver Rückschlag. Klar ist, dass sich die Erwerbsbiografien verändern werden. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 1./2.6.2013)