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Goldener Löwe für die Kuratoren Paula Nascimento und Stefano Rabolli Pansera sowie den Künstler Edson Chagas (rechts).

Foto: APa / EPA/ANDREA MEROLA

Wer sich während der drei Biennale-Voreröffnungstage nach Angola im Palazzo Cini nahe der Accademia verirrte, war ziemlich allein mit sich, prächtigen Gemälden Piero de la Francescas, Botticellis oder Pontormos, kostbaren Möbeln - und den vielen Plakatstapeln mit Fotos des 36- jährigen Angolaners Edson Chagas. Abbröckelnder Putz; ein alter Sessel, ein ausrangierter Computer, eine Kiste vor einer bunten Hausmauer inmitten der Renaissanceschätze. Dabei sein ist alles, war da noch das Motto des Teams rund um den Künstler und die beiden Kuratoren, die angolanische Architektin Paula Nascimento und ihren italienischen Kollegen Stefano Rabolli Pansera.

Am Samstagnachmittag dann elendslange Schlangen und heftiges Gedränge vor Angolas Toren: Wenige Stunden zuvor war der Kunstbiennale-Debütant, für alle überraschend, mit dem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag ausgezeichnet worden. Beim Jurorensprech geriet dann sogar der stets eloquente Biennale-Leiter Massimiliano Gioni ins Stocken: Kuratoren und Künstler reflektierten gemeinsam Unvereinbarkeit und Komplexität von Standorten. Jubel.

Lassnigs Dankesworte

Begonnen hatte die kurze Löwen-Verleihungszeremonie in den Giardni sehr melancholisch. Als Paolo Barrata, Biennale-Präsident, Maria Lassnigs Namen verlas, brandete Applaus auf. Doch nicht die große österreichische Künstlerin betrat die Bühne, sondern Joanneum-Direktor Peter Pakesch nahm stellvertretend den Goldenen Löwen für das Lebenswerk entgegen. Und verlas ihre berührenden Dankesworte:

"In Venedig gibt es so viel Wasser, das macht mir Angst. So viel Wasser ist auch geflossen im Laufe meines Lebens als Künstlerin. Nun bin ich überwältigt. Nach mehr als 70 Jahren mit der Kunst, mit vielen Entbehrungen und Nöten, nach vielen Ausstellungen und Erfolgen, die spät kamen, soll ich jetzt diesen großen Preis entgegennehmen, was mir nun nicht mehr persönlich möglich ist. Ich bin einfach zu schwach, und Venedig mit seinem vielen Wasser ist zu weit entfernt. Gerne denke ich an meine Ausstellung im österreichischen Pavillon zurück - damals."

Damals, das war 1980, musste sich Lassnig den Pavillon mit Valie Export teilen - nun, 33 Jahre später, einen Raum im Zentralpavillon sowie die Auszeichnung fürs Lebenswerk mit der 82-jährigen Marisa Merz. "Oh, der ist ja schwer", waren die einzigen Worte der kleinen großen Altmeisterin der Arte Povera und Witwe von Mario Merz, ehe sie wieder von der Bühne trippelte.

Für seine Verdienste um die Öffnung künstlerischer Disziplinen wurde der 37-jährige Tino Sehgal als bester Künstler der Biennale-Ausstellung Il Palazzo Enciclopedico ausgezeichnet. Der Deutsch-Brite mit indischen Wurzeln hatte schon 2005 gemeinsam mit Thomas Scheibitz den deutschen Pavillon auf der Biennale gestaltet. Diesmal singen und summen seine Lebendskulpturen in dem Raum, in dem die Bewegliche Figur des Österreichers Walter Pichler (1936-2012) vermutlich lieber in meditativer Stille geblieben wäre.

Als vielversprechendste junge Künstlerin wurde die 35-jährige Französin Camille Henrot ausgezeichnet. Für ihr Biennale-Video Coupé/Décalé, zu sehen im Arsenal, filmte sie im Südpazifik junge Männer, die sich, nur an den Füßen festgebunden, in die Tiefe stürzen. Stammesriten als Vorbild für die als Bungee-Jumping bekannte Mutprobe der westlichen Welt - auch eine Art globales, enzyklopädisches Wissen.

Als Gioni im November vergangenen Jahres seinen Palazzo Encyclopedico erstmals vorstellte, hatten die meisten Länder ihre Künstler bereits gekürt und mit Gionis Thema nichts am Hut. Nicht so Angola. "Wir dachten sofort an Edson Chagas", sagten Nascimento und Rabolli Pansera im Standard-Gespräch: "Er versucht, die Welt mit seiner Kunst zu erfahren. Er findet Objekte und Gegenstände, trägt sie durch die Stadt, bis er einen Platz für sie findet, und fotografiert sie dann. Wie bei jeder Enzyklopädie steckt in seiner Arbeit ebenso viel Dokumentation wie poetische Rekonstruktion."

Beispielhaftes Luanda

Mit ihrer Nonprofitorganisation Beyond Entropy erforschen Nascimento und Rabolli Pansera die Beziehungen zwischen Architektur und Kunst, Energie und Raum. Auf der Architekturbiennale 2012 zeigten sie (übrigens ebenfalls erstmalig) am Beispiel Luanda eine einfache Lösung für fehlende Infrastrukturen und mangelnde Qualität im öffentlichen Raum, anwendbar auf alle explodierenden Großstädte des Kontinents: Baulücken sollten mit Riesenschilf bepflanzt werden, welches Regenwasser filtern und Energie in Form von Biomasse liefern könnte.

Chagas, der nebenher auch als Fotojournalist arbeitet, beschäftigt sich mit sozialen Fragen, der Beziehung zwischen Zeit und Raum. Seine Fotoinszenierungen ähneln einem urbanen Katalog; und Biennale-Besucher können sich nun aus Etsons Plakaten ihren ganz eigenen Katalog erstellen. "Enzyklopädisches Wissen", so Nascimento, "sollte immer öffentlich sein: Du nimmst, was du brauchst, machst dir deine eigene Sammlung. Und es entspricht Etsons Arbeitsweise, er wollte diese Erfahrung mit Besuchern teilen." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 3.6.2013)