Bei der Nationalratswahl vor fünf Jahren ist mehr als jeder fünfte Wahlberechtigte daheimgeblieben, bei der Kärnten-Wahl heuer war es jeder Vierte, bei der Tirol-Wahl sogar mehr als jeder Dritte. Und wenn es irgendeine sichere Vorhersage für die Nationalratswahl im September gibt, dann ist es diese: Die Nichtwähler haben die besten Chancen, zur stärksten politischen Kraft zu werden. Zu einer Kraft allerdings, die nichts gestaltet, jedoch bestehende Trends massiv verstärkt: Je mehr Nichtwähler es gibt, desto weniger Stimmen werden für ein Mandat benötigt, desto weniger Unterstützer braucht ein Kanzler.

Das mag für die handelnden Politiker im Einzelfall Vorteile bringen - im Grunde ist aber allen bewusst, dass sie sich ein Problem einhandeln, wenn "die unten" mehr und mehr bezweifeln, ob "die oben" eigentlich demokratisch legitimiert sind. Das sind sie natürlich formal auch bei noch so geringer Wahlbeteiligung; wohl ist ihnen aber nicht dabei. Im Grunde wissen alle: Die Parteiendemokratie funktioniert nicht mehr so wie früher. Weder verfügen die Parteien über ihre einstige ideologische Bindungskraft noch über ein charismatisches Führungspersonal, das Massen zu bewegen imstande wäre. Und gäbe es beides doch noch, würde auch das als unzeitgemäß und gefährlich kritisiert.

Da klingt direkte Demokratie schon viel besser: Immerhin könnten da die Initiativen von unten kommen und Gesetze an den Parteien vorbei schaffen. Das allerdings war immer eine Illusion - ein Drittel der Volksbegehren kam direkt aus Parteisekretariaten, andere hatten zumindest die Unterstützung durch Vorfeldorganisationen und (Oppositions-)Politiker als prominente Unterzeichner.

Und die Bürger? Wer sich die Mühe gemacht hat, ein Volksbegehren zu unterschreiben, wurde meist enttäuscht: Kaum ein Volksbegehren wurde eins zu eins umgesetzt. Mit dem neuen Demokratiepaket soll die Umsetzung nun erzwingbar werden. Aus erfolgreichen Volksbegehren sollen Volksabstimmungen werden - die Parteien streiten nur noch darum, mit welcher Prozentzahl sie "erfolgreich" definieren.

Das kann durchaus spannend werden, wenn man es - wie die Schweiz vorexerziert - auch mit der nötigen Sachlichkeit angeht. Aber das würde von den Parteien Zurückhaltung erfordern. Zu befürchten ist das Gegenteil: Womöglich bringt das Demokratiepaket mehr parteigesteuerte Kampagnenpolitik für Plebiszite, an denen dann noch weniger Leute teilnehmen als an allgemeinen Wahlen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 3.6.2013)