Szene wie aus einem Gruselfilm an einer Wiener Mauer: Arbeit aus der Serie "What the f%$#@?" von Dan Witz.

Foto: Michael Ortner

Wien - Sieht man vier Finger aus einem Lüftungsgitter herausragen, erschrickt man bei dem gruseligen Anblick. Der zweite Blick beruhigt: Die Finger wirken zwar täuschend echt, sind aber nicht aus Fleisch und Blut, sondern wie die Gitter nur aufgemalt. "Ich will schockieren und provozieren", sagt Street-Artist Dan Witz, der für seine illusionistischen Trompe-l'OEil-Arbeiten digital bearbeitete Fotos mit Ölfarbe bemalt. Auf Mauern und Türen montiert scheinen sie mit ihrer Umgebung zu verschmelzen.

Dan Witz, 1957 in Chicago geboren, interveniert seit mehr als 30 Jahren im öffentlichen Raum. Seine "Tags", seine Signaturen sind kleine, farbenfrohe Kolibris, die er seit Ende der 1970er-Jahre auf bereits mit Graffiti überzogene Wände setzt. Er zählt zu den Altvorderen der Street- Art, trotzdem legt er keinen Wert auf Ruhm. An der Straßenkunst fasziniere ihn, dass niemand sie besitzen oder verkaufen kann. Zwar belehren aus Mauern herausgebrochene "Stencils" (Schablonen-Arbeiten) von Banksy eines Besseren, doch Dan Witz meint es ernst: Versucht man seine mit Bolzen und Kleber in der Wand fixierten Arbeiten gewaltsam zu entfernen, zerstört man sie zwangsläufig.

Die Arbeiten Witz', der Mitte der 1980er-Jahre in der Secession mit seiner Punkband auftrat, findet man derzeit nicht nur im öffentlichen Raum Wiens, sondern auch in der poppig betitelten Ausstellung Cash, Cans & Candy. In der Favoritner Ankerbrotfabrik zeigt die Galerie Hilger einen Querschnitt von 50 nationalen wie internationalen Künstlern, darunter so etablierte wie Faith47, Faile oder Roa. Aus den heimischen Vertretern sticht vor allem der international gefragte Nychos aus Wien heraus; andere gehen im Name-Dropping unter. Gesellschaftspolitische Fragestellungen finden sich wenige; vieles ist mit dem Begriff Straßenbehübschung oder Kitsch besser beschrieben.

Gefangene hinter Gittern

Dan Witz' Serie heißt nach dem perplexen Ausruf unzähliger Menschen, die seine Arbeiten an Mauern und Türen entdeckt haben: What the f%$#@? Überraschen und erschrecken ist Kernelement seiner Arbeiten, die häufig auch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund haben. Für Amnesty International realisierte er im Frühjahr die Kampagne Wailing Walls. Witz stellte Gefangene hinter Gittern dar, die ihrer Menschenrechte beraubt oder wegen ihrer politischen Ansichten eingesperrt wurden. "Ich will ein Bewusstsein schaffen für Menschen, die vergessen oder nicht gesehen werden", sagt der Künstler. Auch die Inhaftierung der drei Punkrock-Aktivistinnen von Pussy Riot kritisiert er. Um die Bandmitglieder so darzustellen, wie sie hinter Gefängnistüren aussehen würden, passte er die fotorealistischen Objekte genau in die Maße kleiner Türfenster ein.

Die Schau wird von Fahrradtouren zur Street-Art in Wien oder dem Bemalen der Silos am Ankerbrotgelände begleitet. Street-Art-Ikone Shepard Fairey etwa veredelte Ende Mai eine Silowand mit einem 18 Meter großen, roten Wandgemälde. Es ist das Porträt seiner Frau: Keine überdimensionale Liebeserklärung, vielmehr geht es Fairey um die Emanzipation der Frauen in der männlich dominierten Street-Art. In manchen Arbeiten prangert der US-Amerikaner Krieg, Machtmissbrauch oder die Regelung des Waffenbesitzes in seiner Heimat an. Diesbezüglich sei "illegale Street- Art ein Akt der Renitenz".

Doch was bringt Wien die Street-Art-Ausstellung mit Festivalcharakter? Urbaner Raum, genauer gesagt das Grätzel in Favoriten, soll aufgewertet werden, so Kuratorin Katrin-Sophie Dworczak. Wien soll wie Berlin oder London zu einem Hotspot internationaler Street-Art werden, denn sie gilt als jung, hip und urban. Attribute, die mehrheitlich auf das Eröffnungspublikum zutrafen. Ob die kunstbegeisterten Hipster aber auch das nötige Kleingeld für die aus der Street-Art herausgelösten, kommerzialisierten Arbeiten haben, ist eine andere Frage. (Michael Ortner, DER STANDARD, 4.6.2013)