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Ein Murenabgang in Hüttau in Salzburg richtete schon am Sonntag starke Verwüstungen an.

Foto: Feuerwehr Hüttau/APA

Es gibt Tage, da läutet Johannes Hübls Handy häufiger als gewöhnlich. Wenn es scheinbar unaufhörlich regnet und sich erste katastrophale Folgen in Form von Hochwasser und Murenabgängen zeigen, dann ist die Expertise des Hydrologen vom Institut für alpine Naturgefahren der Universität für Bodenkultur (Boku) gefragt.

Dann erzählt er den Journalisten von den etwa 12.000 bis 14.000 Wildbacheinzugsgebieten in den Bergen von Österreich - kleine Regionen, in denen es eigentlich unmöglich ist, ein flächendeckendes Hochwasserfrühwarnsystem zu installieren. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und die hydrografischen Dienste der Länder können hier zwar eine Niederschlagswaage aufstellen, doch auf Höhen von 2000 Metern und mehr fehlt es an den jederzeit verfügbaren Experten, die die Wassermengen überprüfen und danach vor Überflutungen warnen können. Die Konsequenz: "Es gibt wenige Waagen in diesen Höhen," sagt Hübl.

Ähnlich schwierig ist es, zu Daten zu kommen, die Rückschlüsse auf mögliche Murenabgänge zulassen. Geomorphologische Prozesse, in deren Verlauf alpine Fließgewässer Sedimente transportieren, sind der Alltag in Gebirgsregionen. Bei dauerhaftem starken Regen kann das aber zur Gefahr für die dicht besiedelten Alpen werden. Mehrere Meter hohe Schlamm- und Geröllmengen zerstören dann ganze Dörfer.

Das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanzierte Projekt SedAlp soll Abhilfe schaffen. Forscher von der Boku Wien, aus Frankreich, Deutschland, Italien und Slowenien wollen mehr Einblick in die Sedimentbewegungen und ihre Zusammensetzung gewinnen. Zu diesem Zweck werden in alpinen Einzugsgebieten Monitorstationen eingerichtet. Aus der Fülle der Daten sollen "Managementkonzepte" entwickelt werden, um im Fall extremer Witterungsverhältnisse gewappnet zu sein.

Aber wie analysiert man Sedimentbewegungen im alpinen Raum? Hübl und ein Forscherteam testen derzeit einen Hochfrequenzradar für die Muren- Frühwarnung in Lattenbach in Tirol. Das Projekt wird vom Verkehrsministerium über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG gefördert. "Dieses Frühwarnsystem funktioniert automatisch, schaut in die Sedimentmassen hinein und erkennt Bewegungen", sagt Hübl. Geräte wie diese sind teuer. Hübl schätzt die Kosten für das System und seinen Aufbau auf 150.000 Euro.

Keine Anhäufung

Angesichts der Schwere der Überschwemmungen wird das Hochwasser dieser Tage bereits mit dem "Jahrhunderthochwasser" von 2002 verglichen. Ist das schon eine ungewöhnliche Anhäufung von Hochwasser-Ereignissen? Günter Blöschl von der TU Wien verneint. Statistisch sei das nicht überraschend, sagt der Hochwasser-Experte. Das Gesamtsystem aus Ozeanen und der Atmosphäre könne jahrelang in unterschiedlichen Zuständen verweilen und dann in einen anderen Zustand überwechseln. Wenn sich dieses Gesamtsystem eben eine Zeitlang in einem Zustand befinde, der Hochwasser begünstigt, "treten innerhalb einiger Jahre gehäuft Hochwasserkatastrophen auf - dafür kommt es dann in anderen Jahrzehnten kaum zu extremen Hochwassern."

Vergleich mit 16. Jahrhundert

Eine derartige Abfolge von hochwasserintensiven und -armen Phasen sei auch schon in der Vergangenheit festzustellen gewesen: "Auch Mitte des 16. Jahrhunderts gab es eine hochwasserreiche Phase", betont Blöschl in einer Aussendung der TU. Derzeit untersucht er mit den Mitteln eines Advanced Grants des Europäischen Forschungsrat (ERC) die Ursachen von Hochwasserkatastrophen. Im Projekt "Flood Change" setzen die Wissenschafter ein neues Systematisierungskonzept ein. Es geht darum, Hochwassersituationen zu vergleichen, die Ähnlichkeiten im Ablauf zu ergründen und die Einflüsse von Witterung, Landnutzung und Wasserwirtschaft einzeln zu analysieren.

Bleibt nur noch die Frage: Ist der Klimawandel für die starken Regenfälle verantwortlich? Das lasse sich nicht zuverlässig sagen, meint Blöschl. Freilich entscheidet die Art der Landnutzung darüber, ob es lokal zu Katastrophen komme. Das Abholzen von Wäldern begünstige Hangrutschungen. Flussbauliche Maßnahmen könnten Überschwemmungen verhindern - aber auch noch größere Überschwemmungen flussabwärts hervorrufen. (Peter Illetschko/DER STANDARD, 5.6.2013)