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Sibylle Lewitscharoff ist die Büchner-Preis-Trägerin 2013. 

Foto: apa/Hannibal Hanschke

In der "Leipziger Romanschule", jenem Literaturinstitut, wo das Schreiben gelehrt wird, würden "zu viele coole Texte über kaputte Typen" geschrieben, meinte Sibylle Lewitscharoff in ihrer Poetikvorlesung Vom Guten, Wahren und Schönen (2012). Auch auf deutschsprachigen Bühnen gehe es in der Regel "schlimm, pervers und hässlich zu". Ein fremder Theaterbesucher, schreibt die am 16. April 1954 in Stuttgart geborene Autorin weiter, müsse uns für schreiende, in Müllbergen hausende Verrückte halten.

In der Tat herrscht an Schriftstellern, die den Ernst des Lebens und die Ereignislosigkeit des eigenen Daseins vor uns ausbreiten, an Autoren also, bei denen es- anders als bei Sibylle Lewitscharoff - nichts zu lachen gibt, kein Mangel. Und dass es ausgerechnet ein Text über ein aus der Sicht eines Verrückten geschildertes Universum war, der Lewitscharoff 1998 in Form des Klagenfurter Bachmann-Preises zum Durchbruch verhalf, gehört zu den reizvollen Details dieser erstaunlichen Autorenkarriere.

Pong, so der Name des Verrückten, der den Leser in seinen Wahn hineinzwingt, ihn aber gleichzeitig spielerisch in eine Sprachwelt entführt, gab auch der 1998 erschienenen Erzählung den Titel. Dass Lewitscharoff diesem Erfolg das selbst illustrierte Kinderbuch Der höfliche Harald (1999) folgen ließ, passt ins Bild einer Schriftstellerin, die stets für Überraschungen gut ist.

Angefangen hat alles mit Hörspielen, die Lewitscharoff als Buchhalterin in der Werbeagentur ihres älteren Bruders Michael schrieb. Das war in Berlin, wo sie Religionswissenschaften und Soziologie studiert hatte und wo die Autorin mit ihrem Mann, dem Künstler Friedrich Meckseper, heute noch lebt.

Aufgewachsen ist sie in Stuttgart als Kind einer deutschen Mutter und eines Exil-Bulgaren. Der Arzt Kristo Lewitscharoff nahm sich das Leben, als die Tochter neun war. Die Welt der Verstorbenen, die Reise aus dem oder ins Totenreich spielen in ihren Romanen Montgomery (2002), Consumatus (2006), Apostoloff (2009) sowie ihrem ersten Theaterstück Vor dem Gericht (2012) eine Rolle. Trotz des existenziellen Hintergrunds sind Lewitscharoffs Bücher von feinem Humor grundiert, der sich auch durch den 2011 gefeierten Roman Blumenberg zieht. Nun geht - nach vielen anderen Preisen - auch die renommierteste literarische Auszeichnung Deutschlands, der Georg-Büchner-Preis, an eine Autorin, die Sprache einmal als große Integrationsanstalt bezeichnet hat. (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 5.6.2013)