Vielfältige Identitäten: Erik (Thure Lindhardt, li.) und Paul (Zachary Booth) in Ira Sachs' Beziehungsdrama "Keep The Light On" ...

Foto: identities

... und eine Vertreterin des idonesischen Doku-Kollektivs aus "Chrildren of Srikandi".

Foto: identities

Wien - Schon minimale Verschiebungen, kleine Paradoxien können fest umrissene Identitäten pointiert infrage stellen: "Ich bin männlicher als jeder Mann, weil ich eine Frau bin". So sprach anno 1994 die Protagonistin von Ira Sachs' Kurzfilm Lady - als die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zuschreibungen, mit der eigenen Definitionsmacht über eine nicht heterosexuell genormte Identität oder das Spiel damit im Fokus des Wiener Filmfestivals Trans-X standen.

Zwei Dekaden später ist das von Barbara Reumüller verantwortete Festival, das seit 1996 den Namen Identities trägt, um einiges größer und noch vielfältiger geworden. Auch in jenem Maß, in dem queere Lebensentwürfe inzwischen selbst im Kino- und TV-Mainstream angekommen sind, das Spektrum des diesjährigen Programms etwa von einem starbesetzten Großprojekt wie Albert Nobbs bis zur No-Budget- Unternehmung Dicke Mädchen reicht.

Der US-Filmemacher Ira Sachs (Forty Shades of Blue, 2005) ist in diesem Jahrgang mit seinem jüngsten Spielfilm Keep The Lights On vertreten. Dieser erzählt vom Filmemacher Erik (Thure Lindhardt), der Ende der 90er in New York lebt und unverbindlichen Sex hat - bis er dabei den jungen Verlagsanwalt Paul (Zachary Booth) kennenlernt.

Keep The Lights On entwickelt daraus eine verdichtete kleine Milieustudie, die einen Zeitraum von rund zehn Jahren umspannt. Die Beziehung der beiden Thirtysomethings bleibt vor allem durch Pauls wachsenden Drogenkonsum gefährdet. In seinem Selbstverständnis als schwuler Mann ist zumindest Erik völlig sicher, mit sich identisch. Was in seinem Leben krisenhaft auftritt - Beziehungsprobleme, kreativer Leerlauf -, ist damit nicht (mehr) ursächlich verknüpft.

Abgesehen von diesem (westlich und urban geprägten) Status quo eröffnen sich auf der Leinwand - in rund 90 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen - aber noch andere Perspektiven. Einerseits stellt sich die Lage global betrachtet immer noch ganz anders dar: Die jungen lesbischen Indonesierinnen, die sich als Kollektiv Children of Srikandi nennen, berichten in ihrem gleichnamigen, vielstimmigen Selbstporträt von sexueller Diskriminierung, von Misshandlungen, vom Rauswurf aus ihren Familien und von der Angst, die sie fast immer begleitet.

Ihre Berichte und ihren Alltag haben sie (unter Mitwirkung der Filmemacherinnen Angelika Levi und Laura Coppens) in dokumentarische Skizzen und Spielszenen übersetzt. Die Frage nach der eigenen Identität ist in Children of Srikandi ein wiederkehrendes Thema. Am Ende lässt sie sich aber doch auch spielerisch, unter Gelächter beantworten. Unter den Labels, die sich die Frauen selbst ausdenken, finden sich kreative Zuschreibungen von "pansexuell" bis "andro butch", von "girl boy whatever" bis "vaginarian".

Eine andere, über die nunmehr zehn Festivalausgaben ebenfalls konsequent gepflegte Blickrichtung geht in die Vergangenheit von Filmgeschichte und Identitätspolitik: Detlef - 60 Jahre schwul macht mit einem wichtigen Aktivisten der westdeutschen Schwulenbewegung bekannt. Schließlich gelte es, so dessen frühe Weggefährtin Lilo Wanders im Film, auch "die jungen Schwuppen" mit den noch gar nicht so lange zurückliegenden Anerkennungskämpfe(r)n zu konfrontieren. Mit Marlon T. Riggs Tongues Untied (1989) erfährt außerdem ein wichtiges Werk des afroamerikanischen Queer Cinema seine späte Österreich-Premiere.

Riggs greift auf Traditionen der Spoken Word Poetry, auf traditionelle und zeitgenössische popkulturelle Ausdrucksformen zurück, um klangvoll von der prekären Situation schwuler Afroamerikaner in den 1980er-Jahren zu erzählen. Nicht nur in diesem Fall findet die Auseinandersetzung eine eigenwillige filmische Entsprechung.  (Isabella Reicher, DER STANDARD, 7.6.2013)