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Selbst in Kalifornien formiert sich zunehmend Widerstand gegen die Förderung von Schiefergas.

Foto: Reuters/Lucy Nicholson
Grafik: Standard

Wien - In Europa ist es die steigende Zahl an Windrädern, die das Landschaftsbild prägen und mancherorts bereits für Unmut unter Anrainern sorgen. Die USA befinden sich - noch - im Rauschzustand. Nicht etwa wegen erneuerbarer Energie; die fristet jenseits des Atlantiks ein eher kümmerliches Dasein. Es ist Schiefergas, an dem sich die Nation besäuft.

Je länger das Besäufnis anhält, desto größer werden die Fragezeichen. Kann das lange gutgehen? Wird der Boom nicht genauso rasch enden, wie er begonnen hat?

"Die Hoffnungen, die man mit Schiefergas verbindet, sind deutlich übertrieben", sagt etwa Werner Zittel im STANDARD-Gespräch. Zittel ist Physiker bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik in Ottobrunn bei München, er gilt als einer der international führenden Forscher für Reichweiten fossiler Energien.

"Euphorische Meldungen kommen meist aus dem Lager derer, die ein Interesse daran haben, das aufzugreifen. Wirklich harte Zahlen, die zeigen, wie es um die Vorkommen tatsächlich bestellt ist, gibt es kaum", sagt der Forscher.

Begonnen hat die Euphorie um Schiefergas vor fünf, sechs Jahren. Mit einer alten, aber runderneuerten Fördermethode - Hydraulic Fracturing, vulgo Fracking - war es plötzlich möglich, früher unerreichbares Gas zu fördern. Die Mengenschätzungen waren sofort so gigantisch, dass Vertreter aus Industrie, Politik, Wissenschaft und Wall Street Shale Gas als den Stoff bezeichneten, der die USA grundlegend verändern würde.

Schon ist von einer Reindustrialisierung Amerikas die Rede, die durch das konkurrenzlos günstige Erdgas viele Branchen wie Petrochemie, Stahl oder Aluminium zurück in die Staaten locken dürfte. Voestalpine etwa investiert wegen der günstigen Gaspreise jenseits des Atlantiks 550 Mio. Euro in ein Werk in Texas. Dieses soll ab 2016 Eisenkonzentrat aus Erz für Linz und Donawitz herstellen.

Toxische Papiere

Auch ein strategischer Rückzug der USA aus dem Mittleren Osten wird für möglich gehalten. Durch die zunehmende Unabhängigkeit von Energieimporten habe die Region für Washington möglicherweise nicht mehr die strategische Bedeutung wie bisher.

Nordamerika sei "der neue Mittlere Osten", hat die US-Großbank Citigroup in einer Analyse im März des Vorjahres gejubelt. Aber gerade von der Bankenseite drohen neue Gefahren. Die zu erwartenden Einnahmen von Schiefergasfirmen wurden ähnlich wie die hypothekenbesicherten Derivate vor der Finanzkrise 2008 gebündelt und an Fonds verkauft. Sollte sich der Gaspreis in Nordamerika in absehbarer Zeit nicht erholen, droht wegen der zu erwartenden Verluste für viele kleine Förderfirmen erneut ein größerer Ausfall auf die Derivate.

Derweil stellt sich die Frage, ob es nicht auch an der Zeit wäre, dass Europa diesen Schatz zu heben beginnt. Bis auf vereinzelte Versuche gibt es noch keine breit angelegten Aktivitäten. Mit Ausnahme von Polen, wo man mit Fracking in Kontinentaleuropa am weitesten ist, und der Ukraine, das sich wie seine polnischen Nachbarn lieber früher als später aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien möchte, wurden Frackingversuche bereits im Ansatz erstickt. Auch in Österreich.

Als im Vorjahr Pläne der OMV bekannt wurden, mit Probebohrungen im Weinviertel zu starten, weil man dort größere Schiefergasvorkommen vermutet, gab es sofort massive Proteste. Der Konzern bekam daraufhin kalte Füße und nahm Abstand von seinen Plänen. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner nahm im Mai die Diktion der OMV auf, wonach das Hauptaugenmerk nun darauf liegen müsse, eine umweltschonende Technologie zu entwickeln. Es gebe "eine Tendenz, etwas abzulehnen, bevor wir wissen, was es ist". Das sei nicht gut.

Potenzial auch in Europa

Während in Europa die meisten Staaten aufgrund der weitverbreiteten Skepsis gegenüber Fracking auf der Bremse stehen, ist die EU-Kommission aktiver. Energiekommissar Günther Oettinger wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass Europa aufgrund teurerer Energie nicht den Anschluss verpassen dürfe. Großbritannien hat sich das zu Herzen genommen und sein Moratorium aufgehoben.

Die Unternehmensberatung A.T. Kearney schätzt, dass nicht konventionelles Gas bis 2035 einen Anteil von 45 Prozent an der europäischen Gasförderung ausmachen und zehn Prozent des europäischen Gesamtbedarfs decken könnte. "Das ist eine konservative Schätzung, weil wir nicht davon ausgehen, dass sich beispielsweise in Frankreich in nächster Zeit etwas bewegt", sagte Studienautor Kurt Oswald. "Und Frankreich verfügt zusammen mit Polen zweifellos über die größten Vorkommen an Schiefergas."

Wie schon in den USA gab es auch in Europa schon Revisionen des geschätzten Gasinhalts in den Schieferformationen. Manchmal war es auch trivial. In Polen etwa ist bei der Dokumentation weit zurückliegender Schätzdaten offenbar ein Schreibfehler passiert. Dabei dürfte ein Komma nach rechts verrutscht sein. Die Ressourcen in Polen dürften wohl nur ein Zehntel des geschätzten Wertes betragen. (Günther Strobl, DER STANDARD, 10.6.2013)