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Walentina Tereschkowa bei einem Besuch bei der ESA im Jahr 2005. Am Donnerstag ist sie in Wien zu Gast.

Foto: Reuters/Grimm

Auch Raumfahrer müssen Steuern zahlen. Dass russische Kosmonauten jetzt per Online-Banking aus dem All ihre Abgaben pünktlich überweisen können, selbst wenn sie monatelang fernab der Erde verweilen, haben sie Walentina Tereschkowa zu verdanken. Die erste Frau im Weltraum ist jetzt Abgeordnete im Regionalparlament von Jaroslawl für die Putin-Partei Einiges Russland. Als solche setzte sie sich kürzlich für den interstellaren Transfer an den Fiskus ein. Ende Mai war es dann so weit: Pawel Winogradow, derzeit wohnhaft auf der Raumstation ISS, zahlte öffentlichkeitswirksam seine Steuern - als Vorbild für die vielen Steuerfaulen und -flüchtigen in Russland.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Walentina Tereschkowa für die Interessen des Staates starkmacht. Schon ihr Weltraumflug von 1963, der sich am 16. Juni zum 50. Mal jährt, war in erster Linie ein gezielter Schachzug der Kreml-Propaganda. Offiziell suchte die Raumfahrtbehörde nach Frauen, um die Wirkung der Schwere­losigkeit auf das weibliche Geschlecht zu erforschen. Es war aber kein Geheimnis, dass nach dem Sputnik-Schock 1957 und der Allpremiere von Juri Gagarin 1961 der Flug von Tereschkowa eher einen politischen als einen wissenschaftlichen Triumph bedeutete.

Und doch ging für die damals 26-Jährige ein Traum in Erfüllung, als sie in der engen Kapsel der Wostok 6 am Raketenstartplatz Baikonur in Kasachstan den knapp dreitägigen Flug rund um die Erde antrat. "Ich habe schon als Kind von einer Reise zu den Sternen geträumt", sagte sie vergangenes Jahr anlässlich ihres 75. Geburtstages einer Moskauer Zeitung. "Zur Not wäre ich auf einem Besen hingeflogen."

Über den genauen Verlauf des Flugs von "Tschaika", der Möwe - so der Funkrufname von Tereschkowa – ist nicht viel bekannt. Bis zum Ende der Sowjetunion wurden Details und Pannen sämtlicher Missionen unter Verschluss gehalten. Sie sei immer wieder eingenickt, habe sich übergeben und Weisungen ignoriert, heißt es. Es habe Programmierfehler gegeben, Tereschkowa musste neue Daten in den Bordcomputer ein­geben, um wie geplant landen zu können, lauten andere Angaben.

Fest steht: Nach 49 Erdumkreisungen landete sie in der Nähe von Nowosibirsk und wurde als Heldin gefeiert. Ebenso wie Gagarin, mit dem sie eine Freundschaft verband, wurde sie als "Botschafterin des Sozialismus" herumgereicht. Ihre politisch einwandfreie Herkunft dürfte auch den Ausschlag für ihre Nominierung zur ersten Kosmonautin gegeben haben: Kremlchef Nikita Chruschtschow hatte sich schließlich eine einfache Arbeiterin gewünscht.

Walentina Wladimirowna Tereschkowa wird am 6. März 1937 nahe Jaroslawl an der Wolga geboren. Ihr Vater, ein Traktorist, fällt im Zweiten Weltkrieg, die Mutter ernährt die drei Kinder als Arbeiterin in der örtlichen Textilfabrik. Dort arbeitet auch Walja, wie sie genannt wird, als Zuschneiderin und Büglerin, macht nebenbei in der Abendschule das Diplom als Spinnereitechnikerin und tut sich im Kombinat als Sekretärin des kommunistischen Jugendverbandes Komsomol hervor.

Frauenfeindliche Realität

Ihre Leidenschaft ist das Fallschirmspringen. Als Gagarin ins All fliegt, will sie Kosmonautin werden und bewirbt sich bei der Raumfahrtbehörde. 1962 beginnt sie mit vier anderen Auserwählten das Training. Angeblich zog Chruschtschow persönlich Genossin Tereschkowa den anderen - allesamt Akademikerinnen - vor.

So sehr Chruschtschow den Allflug der ersten Kosmonautin als "Gleichberechtigung der Geschlechter im Sozialismus" lobte, so frauenfeindlich zeigte sich die Realität: Nach Tereschkowas Pannen soll der Chefkonstrukteur des Sowjet-Raketenprogramms, Sergej Koroljow, geätzt haben: "Mir kommen keine Weiber mehr ins All." So blieb es auch: Erst 1982, fast 20 Jahre später, durfte Swet­lana Sawizkaja als zweite Russin die Erde verlassen. 1994 folgte mit Jelena Kondakowa die dritte und vorerst letzte Kosmonautin.

Auch Tereschkowas Ansuchen auf einen zweiten Flug verliefen ins Leere. Schon wenige Monate nach ihrem Flug heiratete sie Andrijan Nikolajew, den dritten Mann im All nach Gagarin und German Titow. Auch bei dieser Verbindung, aus der Tochter Jelena hervorgeht, soll der Kreml seine Finger im Spiel gehabt haben. Die Ehe zerbricht, 1982 wird sie geschieden. Ihr zweiter Mann, ein Chir­urg, stirbt 1999.

Tereschkowa blieb der Partei treu: Sie wurde in den Obersten Sowjet gewählt, engagierte sich als Vorsitzende des Frauenkomitees und wurde Mitglied des Zen­tralkomitees der KPdSU. Zwischen 1994 und 2004 leitete sie das Russische Zentrum für internationale kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit. Die 76-Jährige lebt heute mit ihrer Familie in Moskau - und träumt nach wie vor von den Weiten des Alls: "Ich würde auch ohne Aussicht auf Rückkehr zum Mars reisen." Am Donnerstag ist Tereschkowa in Wien zu Gast. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 12.6.2013)