Eine dörflich anmutende Wohnanlage im städtischen Raum: Die Autos stehen nicht im Keller, sondern auf dem Parkplatz - und dort kann auch Fußball gespielt werden. Foto: TransCity

Visualisierung: TransCity

Visualisierung des "Modell Anger" in der Podhagskygasse in Wien 22: Die Gemeinschaft teilt sich die freien Flächen.

Visualisierung: TransCity

Kosten zu drücken ist für Wohnbau-Architekten in der Regel ein Prozess der langsamen und qualvollen Erosion: Stück für Stück schmilzt die schöne Entwurfsidee unter dem Druck immer neuer aus dem Hut gezauberter Einsparungswünsche dahin, bis nur noch ein trauriger Haufen aus Vollwärmeschutz und Normfenstern übrig bleibt.

Dass es auch anders geht, wenn sich alle Beteiligten schon am Anfang zusammensetzen, zeigt die zurzeit in Bau befindliche Wohnanlage an der Podhagskygasse in Wien-Donaustadt. Hier überlegten sich der Bauträger WBV-GPA und die Architekten TransCity gemeinsam, wo man im Wohnbau sinnvollerweise sparen kann, ohne gleich alle Qualitätsmaßstäbe über Bord zu werfen. Heraus kam das "Modell Anger" (und: nein, hier geht es nicht um Wutbürgerwohnungen), mit dem sie den Bauträgerwettbewerb für die Anlage mit 60 Wohnungen gewannen.

Anstatt kreuz und quer mit dem Rotstift durch die Baupläne Amok zu laufen, wurden einfach zwei der ganz großen Kostenpunkte ausgemacht und schlicht gestrichen. Erstes Opfer: die Aufzüge. Da die Bauordnung hier ohnehin nur 7,5 Meter Gebäudehöhe erlaubt, ein so legaler wie verschmerzbarer Verlust. "Es ziehen am Anfang eher junge Menschen ein, denen eine Stiege bis in den zweiten Stock zumutbar ist", erklärt WBV-GPA-Geschäftsführer Michael Gehbauer. "Wir haben aber insofern vorgesorgt, dass ein Aufzug später nachgerüstet werden kann, wenn die Kinder ausgezogen sind und sich die Mieter das finanziell eher leisten können."

Verzicht auf Millionengrab

Das prominenteste Opfer: das Kellergeschoß, ein notorisches Millionengrab beim Bauen. Autos und Abstellräume verbleiben daher im Überirdischen. "Ebenerdige Stellplätze sind zwar nichts Neues, aber meistens bleibt dann trotzdem die Unterkellerung für die Einlagerungsräume. Wir haben die Stellplätze aber nicht einfach auf dem Grundstück verteilt, sondern sie in die Gebäude hineingeschoben", so Michael Gehbauer. Dadurch gehen zwar mögliche Erdgeschoßwohnungen verloren, allerdings hatte die Wohnbauförderung die Wohnfläche sowieso auf 4500 Quadratmeter beschränkt.

Ein weiterer Kostenvorteil: Für das Grundstück wurde mit der Stadt Wien ein Baurechtsvertrag geschlossen, der somit entfallende Grundstückskauf brachte nochmals gut 250 Euro pro Quadratmeter Einsparung.

Wie ein Dorfanger

Warum nun also "Modell Anger"? Ähnlich wie bereits auf mehreren Straßen Österreichs erprobt, gilt im teilmotorisierten Erdgeschoß zwischen den Häusern das Prinzip "Shared Space": Wie auf einem Dorfanger hat hier die Gemeinschaft der Bewohner das Sagen, Autos, Fahrräder, Kinder und Kugelgrill werden sich die Fläche teilen. Sicherheitsbedenken gibt es keine, versichert Gehbauer. "Alle Beteiligten haben sich sofort an ihre Jugend erinnert, wo es ganz normal war, Fußball auf dem Parkplatz zu spielen - außerdem fahren dort nur Bewohner und ihre Besucher mit dem Auto, und die werden sowieso vorsichtig sein."

Architekt Mark Gilbert vom Büro TransCity sieht städtisches Potenzial im dörflich klingenden Modell: "Es gibt in Wien ja schon Angerdörfer wie Kagran oder Leopoldau, die längst in der Stadt aufgegangen sind. Es geht also nicht um ein ländliches Idyll, sondern darum, gemeinschaftliche Räume zu finden, die identitätsstiftend sein können."

Baukosten gespart

Was bringt nun das Einsparungsmodell für den Mieter? Laut WBV-GPA konnten durch Weglassen der Aufzüge rund 65 Euro pro Quadratmeter, durch Entfall der Tiefgarage sogar rund 120 Euro pro Quadratmeter an reinen Baukosten eingespart werden, zusammen immerhin rund 14 Prozent der Errichtungskosten. Übrig bleiben Baukosten von 1150 Euro und eine Nettomiete von rund sechs Euro. Einziehen werden die Erstmieter im Sommer 2014.

Zufriedenheit also bei Architekt und Bauträger: "Wir haben versucht, so einfach wie möglich zu bauen", so Gilbert. "Schönheit muss schließlich weder spektakulär noch teuer sein, sondern entsteht aus der Liebe zu den Feinheiten."

Bei der Wohnbauvereinigung freut man sich über den Zuspruch: "Die Wohnungen sind jetzt schon hoffnungslos übernachgefragt, obwohl wir noch gar nicht mit der Vergabe begonnen haben", so Geschäftsführer Gehbauer stolz. "Es sind sicher die günstigsten Wohnungen, die demnächst auf den Markt kommen, das wird es so bald nicht mehr geben."

Günstige Faktoren

Ist das friedliche Modell Anger also ein Modell für die Zukunft? Beim Bauträger gibt man freimütig zu, dass hier eine Fülle günstiger Faktoren zusammenkam, die nicht jederzeit reproduzierbar sind. Dass man sich das Graben von Tiefgaragen und das Aufstellen von Liften in Zukunft bisweilen zweimal überlegt, dürfte - vor allem beim niedrigen Bauen am Stadtrand - absehbar sein.

"Das Modell von kleinen Bewohnergemeinschaften, die sich um eine halböffentliche Mitte orientieren, aber mit der Reststadt vernetzt sind, ist gerade für Bezirke wie Floridsdorf, Donaustadt und Liesing sehr atttraktiv", ist Architekt Mark Gilbert überzeugt. Es dürfte also bald wieder mehr Fußball gespielt werden auf den Wiener Parkplätzen. (Maik Novotny, DER STANDARD, 13.6.2013)